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Keine pauschale Vorverurteilung

Zum Leserbrief „Und wieder lacht das Ausland“ vom 15. Oktober

Der Leserbriefschreiber bedient hier eine ganze Reihe klassischer Vorurteile: Schweizer und Österreicher kommen zu illegalen Rennen nach Deutschland (alle?), junge Fahrer halten in deutschen Städten ebensolche Rennen ab (alle?), schnelles oder sportliches Fahren (alle?) wird im Ansatz als Straftat gewertet, die Politik schläft mal wieder und wir alle zahlen die Zeche. Wer sind „Die alle“ und wer ist „Wir alle“?

Sind „Die alle“ die Gruppe U 50 und „Wir alle“ die Ü 50 ? Dann vermute ich den Briefschreiber in Gruppe 2. Ich selbst war 40 Jahre im Außendienst tätig (Jahresfahrleistung bis zu 60 000 Kilometer), fahre immer noch gerne Auto und Motorrad, auch mal schnell und sportlich - aber eben da, wo es die Straßen- und Verkehrssituation zulässt. Ich (66) bin übrigens auch Ü 50.

Nun zum Thema: Am Wochenende habe ich das schöne Wetter genutzt und war mit dem Motorrad unterwegs. Dabei wurde mir innerorts zweimal rigoros die Vorfahrt genommen. Die Fahrer: keine Verkehrs-Rowdys wie oben beschrieben, sondern eine Frau und ein Mann in meinem Alter. Die wollten sicher keinen Motorradfahrer „abschießen“. Trotzdem - keinerlei Schuldbewusstsein, keine Entschuldigung, sondern jeweils nur ein sturer Blick nach vorn. Für mich war das Verhalten der beiden letztendlich das Augenblicksversagen eines einzelnen Individuums, jedoch verbunden mit der Grundeinstellung „Ich mach doch keinen Fehler“.

Trotz allem bin ich gegen die im Leserbrief geforderte Reglementierung aller Lebensbereiche. Wir Menschen sind Individuen und ich möchte ein solches bleiben, mit allen Vor- und Nachteilen und mit allen verbundenen Risiken. Dazu zählt auch die Möglichkeit, diesen Leserbrief zu schreiben. Ansonsten mutieren wir zu Marionetten oder Zombies, die im Gleichklang als plumpe Masse bewegt werden - von wem?

Richard Hohensteiner, Lenningen