Kirchheim. Mit ihrem „normalen“ Programm zum Tag des offenen Denkmals passt die Martinskirchengemeinde ganz ideal zum Leitthema, das 2012 bundesweit vorgegeben ist: „Holz“. Schließlich besteht der Dachstuhl aus vier Etagen voll jahrhundertealter Zimmermannskunst. Der Bauhistoriker Dr. Ulrich Knapp aus Leonberg hat sich im Vorfeld auf dem Dachboden umgesehen und beinahe jedem einzelnen Balken eine Fülle interessanter Details entnommen, wie Dekanin Renate Kath im Vorfeld des Denkmaltags bereits zu berichten weiß. Dachstuhlführungen gibt es zwischen 14 und 17 Uhr. Mit von der Partie ist auch Sandra Rapp vom Kirchheimer Büro Bankwitz Architekten, die Hinweise zur bevorstehenden Dachsanierung gibt.
Zu dieser Dachsanierung gibt es ein besonderes Finanzierungsmodell – zumindest zur Teilfinanzierung. Darüber informieren Werner Dresel und Team am Sonntag in der Kirche: Vor einem eigens geschaffenen Holzmodell erklären die Spendensammler dann, wie das gesamte Kirchendach in unterschiedliche Dachflächen von A bis J eingeteilt ist. Jeder Quadratmeter dieser Dachflächen hat eine Nummer bekommen. Bei den kleinsten Flächen über dem Chor reichen die Nummern von 1 bis 31, bei den beiden größten Flächen über dem Kirchenschiff immerhin von 1 bis 447. Insgesamt sind es 1 547 Quadratmeter Dachfläche, die ab September 2013 saniert werden sollen.
Für jeden einzelnen Quadratmeter sucht die Martinskirchengemeinde nun „Dach-Paten“, die bereit sind, für jeweils 48,50 Euro einen Quadratmeter Kirchendach zu „bepaten“. Sollte jeder einzelne Quadratmeter einen Paten finden, dann wären auf diese Art und Weise immerhin 75 000 Euro an Sanierungskosten „hereingeholt“. Die Gesamtkosten der Sanierung belaufen sich allein für den ersten Bauabschnitt – also für die Dachsanierung – auf 820 000 Euro. Weitere Bauabschnitte im Inneren müssen der Dachsanierung folgen.
Die Summe für die Quadratmeter-Patenschaft berechnet sich nach den Materialkosten für die Dachdeckung, wie die Dekanin erläutert. Nicht eingerechnet sind Arbeitslöhne, Planung oder auch die Kosten für auszutauschende Balken oder Sparren der Dachkonstruktion. Das Stichwort „Holz“ ist nämlich nicht nur für den Tag des offenen Denkmals das Leitthema, sondern auch für die Dachsanierung: In erster Linie handelt es sich um eine Dachstuhlsanierung.
Beginn der Arbeiten ist nächstes Jahr, sobald die Fledermäuse ihr Domizil im Gebälk der Martinskirche verlassen haben. Dann bleibt den Verantwortlichen nur, auf günstiges Winterwetter zu hoffen, das die Sanierungsarbeiten am besten durchgehend erlaubt. Wenn nämlich im April 2014 die Fledermäuse zurückkehren, sollten die Arbeiten beendet sein. Ansonsten wären sie umgehend einzustellen. Das würde nicht nur eine fünfmonatige Unterbrechung bedeuten, sondern auch Zusatzkosten mit sich bringen, weil das Gerüst entweder den Sommer über stehen bleiben oder aber im Herbst erneut aufgebaut werden müsste.
Außer um die Sanierung und deren Finanzierung geht es am Sonntag in der Martinskirche aber auch um die Möglichkeit, den Turm zu besteigen und dort möglicherweise den „höchsten Espresso“ der Stadt zu trinken. Im Chorraum ist zusätzlich wieder der „Kubus der Stille“ aufgebaut, in den man sich wie in eine Art Zelt zurückziehen kann, um die Ruhe zu genießen.
Was es ebenfalls im Kircheninneren zu besichtigen gibt, das sind Wandtafeln zur Geschichte der Kirchenglocken. Diese Geschichte ist sehr wechselhaft und viel interessanter, als man zunächst vermuten würde: Drei der Glocken haben die Brüder Rosier oder Rösler 1691 in Kirchheim gegossen – im Jahr nach dem Stadtbrand, dem außer den Glocken auch das Kirchenschiff der Martinskirche zum Opfer gefallen war.
Der Rest des Geläuts wurde im 20. Jahrhundert zweimal auf seinen reinen Materialwert reduziert: Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg war die Kirchengemeinde gezwungen, die meisten ihrer Glocken zum Einschmelzen abzuliefern. Die Familien Ficker und Schöllkopf stifteten 1928/29 zwei neue Glocken, die bereits 1942 wieder zu Kriegszwecken eingeschmolzen wurden. 1952 stifteten beide Familien erneut zwei Glocken für die Martinskirche.
Zu dieser Zeit war die „Große Glocke“ von 1691 als einzige der Martinskirche dauerhaft erhalten geblieben. Der „Große Beller“ wiederum war zwar abgeliefert, aber nicht eingeschmolzen worden und kehrte 1948 wieder zurück. Die letzte „alte“ Glocke, der „Kleine Beller“, hatte seit 1943 einen Riss, der erst lange nach dem Krieg repariert wurde. Kurze Zeit hing diese Glocke nach der Reparatur in Lindorf. Aber bereits im November 1961 wurde sie wieder gegen die „Schiedglocke“ ausgetauscht.
Die „Schiedglocke“ war eine von fünf neuen Glocken, die 1952 in der Stuttgart Glockengießerei Kurtz gegossen wurden. Zwei davon waren – wie bereits erwähnt – Familienstiftungen. Zwei weitere hat die Kirchengemeinde über Spendensammlungen finanziert. Und für die fünfte hat die Pfadfindersiedlung „Konrad Widerholt“ Spendengelder gesammelt (siehe Artikel unten).
Die fünf neuen Glocken jedenfalls haben – wenn seit 1961 auch nur noch vier von ihnen im Martinskirchturm hängen – 1952 wieder für ein volles Geläut gesorgt. Und das wird am Sonntag gefeiert: Im Gottesdienst, der um 10.30 Uhr beginnt, werden die Glocken einzeln vorgestellt und dabei sogar einzeln geläutet, ganz außer der Reihe.