Kirchheim. Der Dachschaden der Kirchheimer Martinskirche hält den Unruheständler Werner Dresel auf Trab. „Es macht ‘ne Menge Spaß. Ich habe das Gefühl, dass ich was bewegen und zum Erhalt der Kirche beitragen kann“, freut sich der Wahlkirchheimer und gelernte Werbekaufmann, dessen Lebensmittelpunkt über Jahrzehnte in und um Frankfurt lag. Zuletzt war er Chef und Eigentümer einer Eventagentur.
„Meine Tochter hat mich hierher verschleppt. Sie wollte, dass meine Frau und ich die Enkel aufwachsen sehen“, erzählt er. Mitten in der Kirchheimer Innenstadt, unweit der Martinskirche, fand das Ehepaar eine Mietwohnung, quasi auf Probe. „Wir wollten schauen, ob die Schwaben mit uns können – und wir mit ihnen“, erzählt Werner Dresel augenzwinkernd. Das Experiment, das im Januar 2002 bei Eis und Schnee begann, war erfolgreich, für Werner Dresel und seine Frau ist Kirchheim zur Heimat geworden, zwischenzeitlich in den eigenen vier Wänden. „Einen alten Baum verpflanzt man nicht – das ist völliger Quatsch. Ich habe ein Leben lang mit Menschen zu tun gehabt und in dieser Kommune lässt es sich wirklich prima leben“, sagt Werner Dresel. Weil er gerne kocht, ist er von Anfang an bei der Vesperkirche mit dabei und auch die Mensa des Schlossgymnasiums kann auf ihn zählen.
Immer wieder ist er über die Martinskirche „gestolpert“, was nicht ganz so verwunderlich ist, denn schließlich ist er hier Gemeindeglied. „Man kann immer was besser, schöner und schneller machen. Irgendwann habe ich Dekanin Kath meine Ideen unterbreitet“, erinnert sich der 78-Jährige. Die drehte kurzerhand den Spieß um und bot die vakante Kirchengemeinderatsstelle Werner Dresel für die letzten drei Jahre der vorherigen Legislaturperiode an – seit Dezember vergangenen Jahres ist er „ordentlich“ gewähltes Gremiumsmitglied.
Werner Dresel kam in einer interessanten Phase zu seinem Amt. Die Kirchengemeinde war mit der Tatsache konfrontiert worden, dass die tragenden Elemente des Kirchendachs derart marode sind, dass sie dringend repariert werden müssen, es drohte die Schließung „dieses denkwürdigen Gehäuses, das Kirchheim seinen Namen gab“. Die Kosten mit rund 820 000 Euro schienen erdrückend, denn als Hauptnutzerin des Gebäudes muss die Kirchengemeinde 100 000 Euro beisteuern. Die Sorge war groß, ob man diese Aufgabe meistern kann. „Ich habe mich an meinen alten Lehrherrn erinnert“, erzählt Werner Dresel. Dessen Grundsatz lautete: Wenn du mal eine richtig tolle Aufgabe hast, aber keine Ahnung, wie sie zu stemmen ist, unterteile sie in kleine, verdauliche und realisierbar erscheinende Portiönchen – und kommuniziere das Ganze. „Also habe ich die 100 000 Euro durch 20 geteilt, dann waren‘s nur noch 5 000. Damit ist es einfacher geworden“, so der 78-Jährige.
Um den stetigen Erfolg allen vor Augen führen zu können, nutzte er die Gunst der Stunde, als im Oktober 2011 der Kirchheimer Waldtag in der Innenstadt stattfand. „Ich ging zu Förster Rittler und bat ihn um einen drei bis vier Meter langen Baum. Plötzlich lag er da“, freut sich Werner Dresel heute noch über dieses Geschenk. Es wurde der Spendenbaum, der am Turm der Martinskirche steht und im Moment von der Kinoleinwand verhüllt ist. „Mit ein paar Leuten haben wir den Baum damals geschält. Dann habe ich meine Kettensäge rausgeholt und einen Wendel rausgeschnitten“, erzählt der passionierte Kunstschaffende. In die aufsteigende Linie wurden 27 Löcher gebohrt und Pfarrer Jochen Maier malte mit ein paar Konfirmanden die gleiche Anzahl Stecken rot an. Immer, wenn wieder 5 000 Euro an Spenden eingegangen sind, wurde ein Stab eingeschlagen – heute sind alle Stäbe drin.
Maßgeblicher Ideengeber und Motor des großen Finanzierungsprojekts war Werner Dresel. Nahezu jeden Tag ist er in und um die Kirche anzutreffen. Es gibt Dachpatenschaften, Springerle mit Martinskirch-Motiven und andere Kostbarkeiten, die beim Stadtfest oder dem Weihnachtsmarkt verkauft werden. Große und kleine Spenden gingen ein. Alleine lässt sich solch eine Mammutaufgabe jedoch nicht stemmen. Zahlreiche Helfer wirkten tatkräftig mit, beispielsweise im kalten Weihnachtsmarktstand oder bei den zahlreichen Veranstaltungen, deren Erlös ebenfalls der Dachsanierung zugute kam.
Zudem machte Werner Dresel aus der Not eine Tugend und „erfand“ Martina. Dabei handelt es sich um das Große Mausohr, Deutschlands größte Fledermausart. Die wohnt den Sommer über im großen Dachstuhl der Martinskirche und steht streng unter Schutz, weshalb die Sanierung nur im Winterhalbjahr über die Bühne gehen durfte. „Bei Mausohrens wohnt man getrennt. Wir haben die Mädchen hier und damit auch die Wochenstube. Der Martinskirch-Dachstuhl ist eine reine Flugschule, hier können die Kleinen üben“, ist der 78-Jährige zwischenzeitlich zum Fledermaus-Fachmann geworden. „Martina“ gibt es entweder als niedliche Plüschfledermaus und als Springerle-Motiv zu kaufen.
Werner Dresel hat immer Ideen im Köcher. „Wir sind weiterhin auf Spenden angewiesen, denn wir haben noch zwei Bauabschnitte zu stemmen“, sagt er. Dabei geht es um die Innenraumgestaltung und die wiederum setzt die Diskussion voraus, wie Kirche in Zukunft aussehen soll.