Kirchheim. Zwei Schwerpunkte macht Sozialamtsleiter Roland Böhringer in der städtischen Sozialpolitik aus: zum einen den Bereich Kinderbetreuung und Bildung, zum anderen die Versorgung älterer Menschen und ihre Teilhabe an der Gesellschaft. Dafür hat die Stadt gemeinsam mit dem Institut für Sozialforschung und Sozialplanung und einem Bürgerausschuss die Altenhilfefachplanung vorangetrieben. Ergebnisse und Empfehlungen sind im über 200 Seiten starken Sozialplan „Älter werden in Kirchheim“ zusammengetragen. „Es geht nicht darum, mit Älteren zurechtzukommen, sondern darum, die Generationen so miteinander zu verknüpfen, dass alle profitieren“, erläuterte Roland Böhringer im Gemeinderat und nannte den Plan „ein einziges Plädoyer für demografiebewusste Kommunalpolitik“.
Bekanntlich ist Kirchheim schon sehr früh, nämlich 1992, in die gezielte Beschäftigung mit einer altengerechten Gesellschaft eingestiegen. Davon profitiert man heute. Einrichtungen wie das Bürgerbüro übernehmen längst wichtige Funktionen im Miteinander.
Tatsächlich ist der Handlungsbedarf groß, denn Kirchheim liegt in Sachen Alterung über dem Bundesdurchschnitt. Diese Tatsache ist in vielen Faktoren begründet, unter anderem in der hohen Anzahl der Pflegeheime. Die Einwohnerzahl Kirchheims steigt noch leicht an, wird aber ab etwa 2015 entsprechend dem bundesweiten Trend abnehmen. Längerer Lebenserwartung steht eine abnehmende Geburtenrate gegenüber.
Der Plan bezeichnet das Älterwerden heute als „Aktives Altern“. Während früher das Bild vom Alter immer mit Hilfen in Verbindung gebracht wurde, ist diese Lebensphase heute von vielen angenehmen Seiten geprägt, unter anderem von einer deutlichen Zunahme an Zeit. „Das aktive Altern basiert im Kern auf zwei Säulen: Gesundheit und gesellschaftliche Partizipation“, lautet eine wichtige Erkenntnis. Aufgabe einer Stadt ist es demzufolge, Präventionsangebote zu schaffen und zum gesunden Lebensstil der Bürger beizutragen. Aber auch die Einbindung in die Gesellschaft ist ein wichtiger Aspekt. Diese wird durch viele Angebote erreicht, unter anderem durch die Bereitstellung von (Weiter-)Bildungsangeboten.
Weiterentwickelt werden soll auch das Angebot an Möglichkeiten der Begegnung. Zwar gibt es schon 29 Seniorenkreise und Plattformen wie das Mehrgenerationenhaus Linde oder das Bürgerbüro. Doch das Angebot soll sich künftig an spezielle Zielgruppen richten, etwa ältere Migranten oder generell die Generation 70+. Große Bedeutung kommt den Nachbarschaftsnetzwerken zu. Fünf davon gibt es in Kirchheim – im Klosterviertel, im Dettinger Weg, in der Oberen Vorstadt, im Paradiesle und auf dem Schafhof. Der Altenhilfeplan spricht von einer „wegweisenden Entwicklung“. Hier werden die Interessen der Bewohner gebündelt und Einfluss auf kommunale Planungen genommen.
Bürgerschaftliches Engagement gilt in Kirchheim als wesentliche Säule der Stadtkultur. Für ältere Menschen speilt sie unter zwei Aspekten eine große Rolle, wie im Plan formuliert: Zum einen können sie sich vielfältig einbringen, gleichzeitig können sie Zielgruppe und Nutznießer sein. Die politische Partizipation ist in Kirchheim für Senioren in unterschiedlicher Weise gegeben, eine Vernetzung erfolgt im „Forum Älterwerden“. „Es gibt keinen Stadtseniorenrat“, betonte Roland Böhringer. Dies mag jedoch auf der vielfältig möglichen Teilhabe in anderen Gremien beruhen. Wie der Sozialamtsleiter mitteilte, wurde bislang kein entsprechendes Bedürfnis geäußert.
Zu den wesentlichen Bausteinen einer Altenhilfe-Infrastruktur gehören Information, Beratung und Vermittlung. In Kirchheim gibt es eine große Zahl an Beratungsstellen. Durch die Eröffnung des Pflegestützpunktes im Herbst 2010 wurde das Angebot komplettiert beziehungsweise die Vernetzung verbessert. Der Pflegestützpunkt soll personell und organisatorisch dauerhaft abgesichert werden, wenn es nach den Vorschlägen im Altenhilfeplan geht. Außerdem sollen ältere Menschen mit Migrationshintergrund stärker in den Fokus rücken. In Kirchheim ist der Anteil alter Menschen mit ausländischem Pass noch relativ gering, nur ein Prozent der über 80-Jährigen weist einen Migrationshintergrund auf. Hier wird mit einer deutlichen Zunahme gerechnet.
Die Wohnformen im Alter sind vielfältiger denn je. Generell gilt, dass Menschen möglichst lange selbstständig und selbstbestimmt leben wollen, worauf die Wohnungen natürlich abgestimmt werden müssen. Kirchheim hat sich das Ziel der „barrierefreien Stadt“ gesetzt, in der möglichst alles ebenerdig zu erreichen ist. Zunehmend wird auch Interesse an Baugemeinschaften laut, also gemeinsames Bauen von Älteren und Jüngeren. Seniorenwohnungen und betreutes Wohnen komplettieren das Angebot in Kirchheim. Ein wichtiges Augenmerk gilt der ärztlichen Versorgung, ebenso dem Angebot an Dienstleistungen und auch Besuchsdiensten, die der Vereinsamung entgegenwirken.
Damit ältere Menschen möglichst lang zu Hause bleiben können, ist auch Unterstützung bei häuslicher Pflege wichtig. Tatsächlich werden nämlich mehr als zwei Drittel aller Pflegebedürftigen im Land zu Hause versorgt, um fast die Hälfte der Pflegebedürftigen kümmern sich überwiegend die Angehörigen. Aufgrund des demografischen Wandels ist mit einer starken Zunahme der Pflegebedürftigen zu rechnen.
Was ebenfalls zunehmen wird, sind gerontopsychiatrische Erkrankungen. Bereits jetzt leidet etwa ein Viertel aller Menschen über 65 unter einer psychischen Störung, wobei demenzielle Erkrankungen und Depressionen im Vordergrund stehen. Deshalb hat die Stadt mit verschiedenen Einrichtungen eine Demenzkampagne durchgeführt.
Die Stadträte hatten den Plan augenscheinlich gut durchgeackert – Beweis für seine Brisanz. Schließlich zimmert die jetzt politisch aktive Bürgerschaft damit ihre eigene Zukunft im Alter. Dass das Alter in Kirchheim ein gelungener Lebensabschnitt werden kann, darüber herrschte Einigkeit. Vor allem die Tatsache, dass der Begriff „Älter werden heute“ durchaus nicht nur mit Last assoziiert wird, sondern mit einem Plus an Erfahrung und Zeit, verursachte Zuversicht.
Durchweg gab es Lob für Sozialamtsleiter Böhringer. Er hatte bereits Anfang der 90er-Jahre bei den ersten Ansätzen zu einer Altenhilfefachplanung mitgewirkt. Dass man in Kirchheim heute so gut altern kann, wird nicht zuletzt auf seine Kompetenz und die Kontinuität seiner Arbeit zurückgeführt.
„Ich sehe elf Stadträte über 60 und einen unter 30 Jahren“, zählte SPD-Stadtrat Andreas Kenner spontan im Ratsrund und schlussfolgerte umgehend: „Da stellt sich mir gar nicht die Frage, ob wir einen Seniorenbeirat brauchen.“