Lenningen. Wie so oft in den vergangenen Jahren, gibt es aus dem Lenninger Ratsrund massive Kritik an Bund und Land: Sie beschließen munter neue Gesetze, halten sich bei der Finanzierung zunächst „vornehm zurück“ und überlassen den Schwarzen Peter den Kommunen – frei nach dem Motto „Den Letzten beißen die Hunde“.
Seit 2006 sichert die UN-Konvention Menschen mit Handicap ein individuelles Recht auf Bildung zu, in Deutschland ist diese Charta seit März 2009 in Kraft. Niemand darf deshalb wegen einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden. „Vielmehr muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zu lernen“, erklärte Bürgermeister Michael Schlecht. Für ihn hat Inklusion jedoch auch Grenzen, weshalb er weiterhin an der Förderschule in Oberlenningen festhalten will. „Ich hoffe auf die Vernunft der Eltern, die immer das Kindeswohl im Auge hat“, so der Schultes.
In Lenningen gibt es nun zwei Kinder mit Handicap, die im Sommer in die Grundschule Oberlenningen eingeschult werden sollen. Beide besuchen den Tobelkindergarten in Oberlenningen. „Wir betreiben also schon Inklusion“, erklärte Michael Schlecht. Sehr frühzeitig haben die Eltern beider Kinder Kontakt zu Schule und Gemeinde gesucht, um die Weichen für die Zukunft stellen zu können. Alle Beteiligten sind der Ansicht, dass das Mädchen und der Bub die Schulreife und die Begabung für eine Regelgrundschule besitzen.
Nun setzt die Kritik von Michael Schlecht ein: „Die neue Landesregierung hat sich dieses Thema auf die Fahnen geheftet und in den Koalitionsvertrag aufgenommen, aber eines vergessen: sich Gedanken über die Finanzierung zu machen. Das Land hat seine Hausaufgaben nicht gemacht.“ Wenn es um einen konkreten Fall vor Ort gehe, falle es jeder Kommune schwer, sich gegen eine Inklusion auszusprechen. Für ihn steht außer Frage, den beiden Kinder den Schulbesuch in Lenningen zu ermöglichen, auch wenn dies finanzielle Belastungen mit sich bringt. Dazu zählen etwa Sachkosten, und auch ein Umbau ist notwendig. „Das Land hätte ein Signal setzen können, wie sie die Schulträger und Kommunen unterstützen, etwa mit einer Inklusionspauschale, aber das ist nicht erfolgt“, so der Schultes.
Die Verwaltung schlägt nichtsdestotrotz vor, innerhalb der finanziellen Möglichkeiten die Zusatzausstattung zu übernehmen. Insgesamt handelt es sich dabei um einen Betrag von knapp 3 500 Euro. Gemeinden mit Schulen für Blinde und Sehbehinderte bekommen einen Landesbeitrag von etwas über 3 500 Euro – nicht aber Lenningen, weil es keine solche Schule hat. „Den Betrag ziehen wir nicht vom Schulbudget ab, denn das würde zu Lasten aller anderen Schüler gehen“, sagte Michael Schlecht. Zudem müsse klar sein, dass alle anderen Kinder in der Klasse nicht benachteiligt werden und der Unterricht funktioniert. Den Eltern der beiden Kinder will er nicht in die Tasche greifen, da diese schon zur Genüge mitarbeiten müssen. Auch das physikalische Gutachten will er in Auftrag geben, denn in zwei Klassenräumen stehen Schallminderungsmaßnahmen an. Die sollen auf jeden Fall umgesetzt werden, alle weiteren, etwa im Treppenhaus und im Flur, dagegen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. „Allen Eltern muss klar sein, dass es in Lenningen eine Schwerpunkt Grundschule in Oberlenningen gibt, nicht zuletzt deshalb, weil es dort einen Aufzug gibt“, erklärte Michael Schlecht.
Eines ärgert ihn und sämtliche Gemeinderäte maßlos: Dass der neue Anbau der Grundschule nicht den Anforderungen entspricht. „Architekten wissen um den Nachhallwert und haben uns Sichtbeton empfohlen – und jetzt bekommen wir genau das um die Ohren geknallt und müssen nachbessern“, erklärte Michael Schlecht. Da es sich dabei um einen größeren Betrag handelt, soll diese Maßnahme in die Haushaltsberatungen einfließen.
In der Diskussion sprachen sich sämtliche Gemeinderäte für die Inklusion und den Verwaltungsvorschlag aus, was Finanzierung und Vorgehensweise anbelangt. Von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die nicht auf dem Rücken von Kindern, Eltern und Schüler ausgetragen werden könne, war durchweg die Rede. Deshalb seien in Lenningen entsprechende Weichen zu stellen. Ihren Ärger, dass das Gebäude nicht dem Standard entspricht, „kaum dass die Farbe trocken ist“, wie es Armin Diez formulierte, äußerten ebenfalls mehrere Räte, und Karl Boßler störte gewaltig, dass das Land die Unterrichtsstunden in diesen Klassen nicht erhöht. „Die Frage ist, wie lange die Freiwilligkeit der Lehrkräfte im Blick auf den zusätzlichen Unterricht anhält, und wann sie an ihre Grenzen stoßen. Das kann nicht auf die Kosten aller anderen gehen“, sagte er.
Kritik von allen Seiten gab es zudem an der mangelnden Bereitschaft zur Mitfinanzierung von Bund und Land, lediglich Georg Zwingmann brach eine Lanze für die rot-grüne Landesregierung. „Das ist eine hoch komplexe Geschichte, die nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Im Moment werden die Ergebnisse der Modellstandorte ausgewertet“, sagte er. Dem widersprach jedoch Michael Schlecht: „Bei Sachkosten – ich habe es Inklusionspauschale genannt – geht es um einen Ministererlass, nicht um ein Gesetz. Dies wäre ein erster Schritt in Richtung Zusammenarbeit – ein Signal und Symbol, das die Ernsthaftigkeit aufseiten den Landes ausdrückt.“