Gefeiertes Konzert des Schwäbischen Kammerorchesters
Klarsichtige Deutung

Kirchheim. Die musikgeschichtliche Strahlkraft der Wiener Klassik machte das Schwäbische Kammerorchester bei seinem gefeierten Konzert im Rahmen der Abonnementreihe des vhs-Kulturrings in der Kirchheimer Stadthalle erfahrbar.

Zum Auftakt hatte Dirigent Matthias Baur tief in die Repertoirekiste gegriffen und die Ouvertüre „Los esclavos felices“ – zu deutsch „Die glücklichen Sklaven“ – aus der Feder von Juan Crisóstomo de Arriaga an den Konzertbeginn gestellt. Arriaga, ein Zeitgenosse Schumanns und Chopins, entstammte einer ebenso musikalischen wie wohlhabenden Familie und erwies sich sowohl als Geiger wie auch als Komponist schon in frühen Jahren als hoch talentiert, weshalb er auch gerne als „spanischer Mozart“ tituliert wird. Gerade einmal zwanzigjährig fiel er der Tuberkulose, der romantischen Krankheit schlechthin, zum Opfer. Neben der Symphonie in d-Moll ist die Ouvertüre „Los esclavos felices“ fraglos das bedeutendste Orchesterwerk des Spaniers.

Klangschön und profiliert gestaltet brachte das Schwäbische Kammerorchester unter der Stabführung von Matthias Baur den antizipierenden szenischen Reichtum dieser kunstvoll leichten, höchst eigenständig zwischen Wiener Klassik und dem Einfluss Rossinis sich positionierenden Musik zur Geltung.

Ein weiterer Rekurs auf die Wiener Klassik, insbesondere auf das Werk Joseph Haydns, ist Sergej Prokofjews „Symphonie classique“ in D-Dur. Eine Sinfonie, die freilich nur fast nach Haydn klingt. Überall baut Prokofjew kleine Fußangeln ein, plötzliche harmonische Wendungen, irreguläre Rhythmen oder „falsche“ Schlüsse, welche die Hörerwartung kunstvoll unterwandern, das Publikum charmant aufs Glatteis führen. Ein solches Komponieren auf der Metaebene, das die Errungenschaften der Moderne quasi durch die Hintertür im Klanggewand der Wiener Meister einführt, stellt an die Ausführenden hohe Ansprüche, zumal in Prokofjews transparentem Tonsatz alles stets offen daliegt. So blieben Intonationstrübungen der sich teils in extremen Lagen bewegenden hohen Streicher nicht aus. Dem hervorragenden Gesamteindruck tat dies jedoch ebenso wenig Abbruch, wie die bewusst moderat gewählten Tempi der Ecksätze, die freilich eine gewisse Tendenz zur Disparatheit des Klangbildes beförderten.

Einem Originalwerk der Wiener Klassik, einem wahren Monument auf der Epochenschwelle zur Romantik, war die zweite Konzerthälfte gewidmet. Mit seinem fünften Klavierkonzert in Es-Dur schuf Ludwig van Beethoven nicht nur das selbstbewusst nach außen gewandte Gegenstück zum meist introvertierten G-Dur-Konzert, sondern den bis dato freiesten Beitrag zum „Grand Concerto“ in machtvoll geweiteter Form und abermaliger Erweiterung des tonalen Kanons. Die fest eingearbeiteten Kadenzen sowie das Ineinanderlaufen des langsamen Mittelsatzes und des Schlussrondos sollten modellhafte Vorbilder für die Romantiker werden. In ihrer hervorragenden Interpretation des Solistenparts gewährte Pianistin Gabriele Schinnerling den ausladenden Gesten einer improvisierenden Grandezza den nötigen Raum, versteifte sich jedoch nicht auf einseitiges Heroentum, lieferte vielmehr eine klarsichtige Deutung der ebenso großflächigen wie komplexen Welt dieses Werks, in der sie die pianistische Virtuosität nicht dominant nach außen setzte, sondern dem differenzierten Ausdrucksgehalt der Musik geschmackvoll einzupassen wusste. Mit dem Schwäbischen Kammerorchester hatte Gabriele Schinnerling zudem einen Begleiter zur Seite, der sich ihrem musikalischen Puls, ihrem agogischen Atem organisch anpasste, solistischen Glanz ebenso wirkungsvoll zu grundieren wusste, wie er gleichrangig und selbstbewusst mit thematisch-motivischem Profil in Erscheinung treten konnte.

Das Publikum dankte mit überschwänglichem Applaus. Gabriele Schinnerling verabschiedete sich mit einer vergleichsweise kontemplativen Zugabe: dem ersten Satz der Beethovenschen „Mondscheinsonate“.ian