Kooperationsprojekt der Musikschule und des Ludwig-Uhland-Gymnasiums überzeugte mit dem Kult-Musical„Hair“
Klingende Erinnerungen an „wilde Zeiten“

Kirchheim. Mit gleich vier Aufführungen in der Kirchheimer Stadthalle wurde der Erfolgsgeschichte der einzigartigen Kooperation von Kirchheimer Musikschule und Ludwig-Uhland-Gymnasium am Wochenende ein neues spektakuläres Kapitel hinzugefügt. Über viereinhalb Jahrzehnte nach der Urauffüh-


rung in New York und der deutschen Erstaufführung in München konnte mit dem längst zur Legende gewordenen Rock-Musical „Hair“ tatsächlich „ein Meilenstein der Popkultur“ zu neuem Leben erweckt und zurecht begeistert gefeiert werden.

Dass diese haarige Herausforderung souverän gemeistert wurde, stand dabei außer Zweifel, und dass der Premiere vor allem auch vom Publikum entgegengefiebert wurde, versteht sich von selbst. Immerhin waren ja auch Vertreter der „Erlebnisgeneration von einst“ in den Zuschauerreihen versammelt und fühlten sich in ihre eigenen Jugendtage zurückversetzt, während sie sich bequem zurücklehnen und genießen konnten, wie ihre Kinder oder Enkel sich mit einer Zeit auseinandersetzen, die für sie selbst stark prägend war.

Während die Musik von Galt MacDermot das Publikum noch immer uneingeschränkt mitreißen kann mit Songs, die längst zu Welthits geworden und noch immer präsent und abrufbar sind, ist der Transfer zu den Texten der beiden Broadway-Schauspieler Gerome Ragni und James Rado deutlich schwieriger zu vollziehen. Das liegt nicht nur daran, dass Musik eben viel zeitloser und in ihrer Wiedererkennbarkeit deutlich unverbindlicher ist als historisch belegte Epochen mit ihren tagesaktuellen weltpolitischen Bezügen.

Daniel Bucher koordinierte und dirigierte die aus der Jazz/Rock-Combo und dem Bläserensemble des LUG formierte Band der stimmigen Aufführung. David J. Schmid übte mit Unter-, Mittel- und Oberstufenchor des Ludwig-Uhland-Gymnasiums die Songs ein, Andrea Wahl von der Musikschule wirkte als Chorleiterin der „Curly Girls“ mit und Bertram Schattel, bei dem alle musikalischen „Haarsträhnen“ zusammenliefen, coachte für das Mammutprojekt „Hair“ den Jugendchor der Musikschule.

Der in dem Erfolgsmusical thematisierte gesellschaftliche Wandel, der mit Anti-Kriegs-Protesten in den Vereinigten Staaten begann, hatte sich bekanntlich rasch vollzogen und sich weltweit zunächst auch in folgenreichen Studentenunruhen niedergeschlagen. Kritik an den „herrschenden Verhältnissen“ führte zur Forderung eines gesellschaftlichen Umbaus und letztlich auch zu dem längst sprichwörtlich gewordenen Marsch durch die Institutionen.

Die unkonventionellen Helden des Musicals stehen dabei immer in einem Widerspruch zwischen politischem Kampf und hellwachem Engagement einerseits und der individuellen Suche nach dem privaten Glück und der Flucht in Drogenexperimente andererseits. Neben Natalie Beck als „Sheila“, Jonas Römer und Tobias Hepperle als „Claude“ und Moritz Stein als „Berger“ zählten noch Corinna Schäfer als „Jeanie“, Christian Dieterich als „Woof“, Hannah Römer als „Chrissy“, Nina Weber als „Dionne“ und Jonathan Weinmann als „Steve“ zum Kreis der durch eine erstaunliche Ensembleleistung überzeugenden Hauptdarsteller.

Auf die allgemeine Wehrpflicht in den USA reagierten zunehmend viele Jugendliche mit symbolischen Verbrennungen ihre Einberufungsbefehle oder aber mit der im Musical ebenfalls thematisierten Flucht nach Kanada. Die Komplexität der vielfältigen Themen bewog die Autoren Gerome Ragni und James Rado wohl, weitgehend auf eine klar definierte Handlung zu verzichten und keine kontinuierliche Geschichte, sondern ein eher abstraktes collagenhaftes Bild einer Ära und damit einer genau in diesem Zeitfenster lebenden Generation zu entwerfen, die es so heute natürlich längst nicht mehr gibt.

Monika Wieder, die für die Inszenierung des Kultstücks verantwortlich zeichnete, wurde von Daniela Dietz unterstützt, die am LUG Deutsch und Französisch unterrichtet und die Kurse „Literatur & Theater“ sowie die Theater-AG leitet. Die Regisseurin war darum bemüht, „den Blick der Zuschauer auf das Wesentliche zu lenken und bewusst auch Leerstellen zuzulassen zum Denken und Nachdenken“.

Die Blumenkinder von damals sind inzwischen längst erwachsen geworden, gehören teilweise ganz selbstverständlich dem einst erbittert bekämpften Establishment an und beobachten aus einer neugierigen Distanz, wie die heutige Generation mit den späten 1960er-Jahren umgeht, in denen der Vietnamkrieg die Schlagzeilen beherrschte.

Neben dem Erwachen politischen Bewusstseins und idealistischer Solidarisierung mit unterdrückten oder diskriminierten Bevölkerungsgruppen war diese Epoche auch gekennzeichnet von einer von Provokationen und Protesten bestimmten Loslösung aus bis dahin nie hinterfragten Familienbanden und klaren Absagen an bestehende Gesellschaftsstrukturen.

Nach dem im November 2012 begeistert gefeierten Musicals „Krach bei Bach“ herrschte beim neuen und genauso ambitioniert angepackten Mammut-Projekt „Hair“ keinesfalls durchgängige Harmonie und Lebensfreude vor. Die Schülerin Natalie Beck, die sich in klassischem Ballett und modernem Tanz ausbilden lässt, stellte sich neben der Rolle der charismatischen „Sheila“ gerne auch noch der großen Herausforderung, die Freude, die sie beim Tanz erfährt, an die Crew weiterzugeben und das Publikum durch gelungene Tanzeinlagen zu beeindrucken. Unterstützt wurde sie dabei von Verena Reinbrech, die am LUG Spanisch, Sport und Englisch unterrichtet.

Am Ende gab es für eine grandiose Gesamtleistung eines fast 250 Personen zählenden Ensembles engagierter Akteure auf und hinter der Bühne nicht enden wollenden Applaus. Einmal mehr waren stehende Ovationen der Dank für die eindrucksvolle Leistung eines großartig zusammenwirkenden Teams, auf dessen Verantwortliche mit verpflichtendem Beifall zugleich auch freundlich Druck ausgeübt wurde, unbedingt so weiter zu machen.

Die erneut eindrucksvolle Kooperation der Kirchheimer Musikschule und des Ludwig-Uhland-Gymnasiums war zweifellos mit ungemein viel Arbeit verbunden. Wenn nach rund eineinhalbjähriger und mit großem Engagement und enormem Zeitaufwand betriebenen Inszenierung ein Vorverkauf praktisch gar nicht wahrnehmbar ist, weil die Karten innerhalb kürzester Zeit schon ausverkauft sind und auch noch eine sonntägliche Matinee angeboten werden muss, um dem gewaltigen Ansturm einigermaßen gerecht werden zu können, spricht das für solides Vertrauen und Vorfreude auf einen erneut erwarteten Erfolg.

Für den Lotto-Musiktheaterpreis 2014 unter der Schirmherrschaft von Kultusminister Andreas Stoch bereits nominiert und am Premierenabend von einem Jurorenteam auch gewissenhaft begutachtet, hat die Produktion jetzt berechtigte Chancen, bei der im Herbst stattfindenden Preisverleihung im Theaterhaus Stuttgart ganz vorne mit dabei zu sein.