Kirchheim. Die oberflächliche, dafür umso striktere Abgrenzung von U- und E-Musik, die allzu schnelle Scheidung zwischen hehrer Kunst und leichter Muse verstellt oft den Blick dafür, dass auch zahlreiche populäre Musikstücke mit beachtlicher
handwerklicher Finesse gewoben sind und tief in klassischen Traditionen wurzeln.
Auch der naserümpfend konnotierte Begriff der „Popularmusik“ zeigt schon per se eine Rezeptionsbreite auf, die manch distinguierten Konzertbetrieb weit hinter sich lässt. So betrachtet ist es mehr als berechtigt, in Schlagern, Film- und Musicalproduktionen faszinierende kulturgeschichtliche Zeugnisse zu sehen, die vorherrschende Befindlichkeiten der Alltagskultur ihrer Zeit spiegeln.
Vor diesem Hintergrund entrollten im gut gefüllten Ötlinger Gemeindehaus Mezzosopranistin Katja Rommel und ihr musikalischer Begleiter am Klavier Franz-Josef Schwarz ein klingendes Panorama von Tonfilmschlagern der 20er-, 30er- und 40er- Jahre des vorigen Jahrhunderts. Gleichermaßen unterhaltsam wie sachkundig führte Schwarz zudem als Moderator durch die Revue „Film ab, Ton läuft“, deren nostalgischer Charme dank künstlerischem Esprit in eine unmittelbare Gegenwärtigkeit gehoben wurde und so die Reize einer vergangenen Ära ungebrochen vor Augen stellte.
„Diamonds are a girls best friend“ und das heutigen Hörern ebenfalls geläufige „Misty“ von Eroll Garner hatten Rommel und Schwarz als Auftakt ihres klug gestalteten Programms im Gepäck. Letztgenanntes Stück verdankt Clint Eastwood seine cineastische Verewigung, der den Jazz-Standard als Schlüsselmelodie seines Regiedebuts „Wunschkonzert für einen Toten“ ausgewählt hatte. Evergreens wie das von Judy Garland unsterblich gemachte „Somewhere over the rainbow“ oder das von Interpreten wie Duke Ellington, Frank Sinatra oder Ella Fitzgerald hoch geschätzte „Stormy weather“ schlossen sich ebenso nahtlos an, wie das seinerzeit als frivole Koketterie empfundene „Let´s do it“ aus der Feder des legendären Cole Porter.
Die Künstler ließen ihre Blicke jedoch nicht nur auf der Traumfabrik Hollywood und dem Glitzern des Broadway ruhen, sie würdigten auch Film- und Schlagerkomponisten, die im Deutschland der 30er- und 40er- Jahre unter weniger traumhaften Bedingungen zu arbeiten hatten.
Nur wenigen Künstlern war es damals möglich, dem Ungeist des NS-Regimes mit einer subversiven Haltung zu begegnen, ohne an repressiver Härte zugrunde zu gehen. Einer von ihnen war der Komponist Peter Kreuder – von Schwarz als „Schlagerpartisan“ charakterisiert – dessen Titel „Zwischen heute und morgen“ in den Strophen mit astreinen Jazzharmonien aufwartet. Der propagandakonforme Refrain mit seiner suggestiven Mischung aus trotzigem Zweckoptimismus und Schicksalsergebenheit scheint somit klanglich konterkariert und regelrecht unterwandert zu werden.
Eine noch unverhülltere Kritik konnte sich der Film „Bel ami“ leisten, der seinerzeit als Seitenhieb auf den politischen Emporkömmling Goebbels gedeutet wurde. Rommel und Schwarz brachten die bis heute beliebte Nummer von Hans Fritz Beckmann und Theo Mackeben „Du hast Glück bei den Frau´n, bel ami“ zu Gehör, die vordergründig schmeichelnd einen „Mann ohne Eigenschaften“ besingt.
Was in den Anfängen des Kinos den technischen Umständen geschuldet war, besitzt heute eine eigene Aura: die musikalische Live-Begleitung eines Stummfilmklassikers bietet konzertanten Anspruch und cineastische Unterhaltung. Mit einem eigens zu diesem Anlass arrangierten Potpourrie aus Filmmusiken der 1920er-Jahre, in das sich illustrativ auch einige Motive von Edward Grieg schmuggelten, lieferte Franz-Josef Schwarz vom Flügel aus einen geistvollen, komödiantisch punktgenauen Soundtrack zu Buster Keatons Leinwanderfolg „One Week“. Den Reaktionen des Publikums zufolge hat dieser Streifen, zumindest im Rahmen einer solch pianistisch hochwertig gestützten Darbietung, offenbar nichts von seinem ursprünglichen Elan eingebüßt.
Erklärtermaßen sind Katja Rommel und Franz-Josef Schwarz auch privat große Fans alter Filme. So stellte sich zur künstlerischen Klasse noch die spürbare authentische Begeisterung für dieses Genre. Die übertrug sich auf das Publikum, das mit lebhaftem Applaus dankte.