Professor Dr. Bleif überzeugte durch wissenschaftliche Souveränität trotz persönlicher Befangenheit
Krebs – Die unsterbliche Krankheit

Kirchheim. Das Interesse an der jüngsten Veranstaltung der Reihe „Literarische Begegnungen und Informationen“ des Buchhauses Zimmermann war überwältigend. Das Buch, auf das neugierig gemacht werden sollte, schafft schon allein


durch die Gestaltung des Umschlags eine gewisse Distanz, denn er wirkt auf den ersten Blick wie eines der vielen wissenschaftlichen Standardwerke aus dem Kanon der Pflichtlektüre für künftige Mediziner. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Dass die Neuerscheinung gerade nicht nur das Interesse eines elitären Fachpublikums weckt, machte die disperse Publikumsrunde deutlich.

Dass die vorliegende Arbeit bei einer auf über 500 Seiten eindrucksvoll ausgebreiteten Informationsdichte und fundierter umfassender Wissensvermittlung auch durch sprachliche Qualität überzeugen kann, war schon bei den ersten Zeilen der Lesung nicht zu überhören.

Warum der Zugang zu Professor Dr. Martin Bleifs Buch bei aller guten Lesbarkeit nicht leichtfallen kann, liegt nicht an der Herangehensweise.

Mit dem Thema „Krebs – Die unsterbliche Krankheit“ will sich niemand gern befassen und ist doch gut beraten es zu tun. Geschäftsführerin Sibylle Mockler wies darauf hin, dass in der Bundesrepublik jährlich etwa 500 000 Menschen an Krebs erkranken.

Trotz intensiver Forschung und modernster medizinischer Methoden und Technik erweist sich diese existenzbedrohende Krankheit aber noch immer als resistent gegenüber allen Versuchen sie ganz zu überwinden.

Professor Dr. Martin Bleif wollte dieses Buch auch nicht schreiben – jedenfalls nicht so. „Ein Buch über Krebs – ja gewiss. Seit Jahren hatte ich Gedanken und Ideen gesammelt, langsam reifte das Konzept. Und dann kam von einem Augenblick zum nächsten alles ganz anders.“ Am Donnerstag, den 10. April 2008, erfuhr er, dass seine Frau Imogen Brustkrebs hat. Sie starb am 15. März 2010.

Dazwischen liegt eine Zeit unendlich vieler schwerer Fragen und vielleicht auch nicht immer befriedigender Antworten. Die Gespräche mit seiner Frau, die als Medizinerin sich und ihm ganz besonders bohrende Fragen stellen konnte, zwangen den renommierten Krebsmediziner und Spezialisten auf dem Gebiet der Radioonkologie zu einem einfühlsamen Perspektivenwechsel.

Das gab ihm die Kraft, größte wissenschaftliche Neutralität und Vertrauen in die Fortschritte der Medizin mit den ihn bislang nicht in diesem extremen Ausmaß tangierenden Sorgen und Ängsten persönlichster Betroffenheit zusammenzuführen.

Die auf dem geteilten Leidensweg gemachten gemeinsamen Erfahrungen ermöglichten ein erstaunlich ehrliches und kritisches Buch, das wahrhaftig informiert und eher desillusioniert als falsche Hoffnungen zu wecken.

Der entschlossene Kampf gegen den Krebs bleibt für Martin Bleif weiter eine große Verpflichtung. Seit vergangenem Jahr arbeitet er als Leitender Arzt an der Radioonkologie der Alb-Fils-Kliniken in Göppingen. Gemeinsam mit Kollegen aus seinem eigenen Fachgebiet, aus der Neurochirurgie und der medizinischen Physik baut er momentan das „Radio-Chirurgikum“ auf – ein für Süddeutschland einmaliges Zentrum für Hochpräzisionsstrahlentherapie und Radiochirurgie, das noch diesen Sommer eröffnet werden soll.

In seinem Buch will Professor Bleif aufzeigen, dass Krebs kein undurchschaubares, dunkles Mysterium ist. In zwölf übersichtlich gegliederten Kapiteln fasst er das Ergebnis des sorgsam bewerteten Disputs zum jeweiligen Themenschwerpunkt fundiert zusammen.

Was mit Grundsätzlichem beginnt und klärt, was Krebs eigentlich ist, wie und wo er entsteht, und was genau in den Krebszellen geschieht, versucht in der Folge auch gut strukturiert aufzuzeigen, wie sich ein Körper gegen Krebs wehrt, ob oder inwieweit das Erkrankungsrisiko beeinflussbar ist, wie Krebs in Erscheinung tritt und wie er entdeckt wird.

Der gemeinsam mit seiner Frau gesuchte Weg zur Erkenntnis führt von allgemeinen Erörterungen immer stärker zu konkreten Abwägungen über Fragen wie: „Nützen Screening und Krebsvorsorge?“, „Wann kann man Krebs heilen?“ oder „Warum gibt es keine Pille gegen den Krebs?“ Mit letzten Hoffnungen in alternative Krebstherapien und Träumen von möglichen Spontanheilungen befassen sich zwei weitere ernste Kapitel.

Martin Bleif klammert in seinem eindrucksvoll fundierten zugleich aber auch ungemein persönlichen und ehrlichen Buch auch den Bereich der Palliativmedizin und die existenzielle Frage „Wie kann man mit dem Krebs leben?“ nicht aus. Es schließt mit ein paar wenigen, aber umso wichtigeren Seiten mit der unvermeidlichen Überschrift „Über den Abschied und das Sterben“.

Ganz wichtig war es Martin und Imogen Bleif schließlich bis zuletzt sich selbst auch dann immer noch voll und ganz dem Leben zuzuwenden, wenn der Krebs zu gewinnen scheint.

Ihre aus unendlichen Gesprächen, Erörterungen und Überlegungen gewonnene Erkenntnis kann Betroffenen vielleicht einen entscheidenden und nachahmenswerten Rat an die Hand geben: „ Wir können dem Leben nicht mehr Tage, aber den Tagen mehr Leben geben.“