Die Weilheimer Studentin Sophia Schmid hat für ein Buchprojekt der Universität Tübingen bekannte Politiker interviewt
„Kretschmann sagt, dass er sich nicht googelt“

Normalerweise darf man als ganz normaler Student keine großen politischen Persönlichkeiten mit kritischen Fragen löchern. Sophia Schmid hatte Glück: Als studentische Mitarbeiterin an dem Buch „Die gehetzte Politik“ hat sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann und den Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit interviewt.

Politische Bücher gibt es wie Sand am Meer. Was macht euer Buch besonders?

SOPHIA SCHMID: Unser Buch ist von Studierenden geschrieben, jungen Menschen Anfang 20, die einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Welt haben. Wir haben auch andere Sachen gefragt. Uns hat zum Beispiel das Persönliche interessiert: Wie lebt der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann? Gibt es überall Kameras, die ihn verfolgen? Von Stéphane Hessel, der durch den Essay „Empört euch!“ bekannt geworden ist, wollten wir wissen: Können wir Jugendlichen etwas bewirken? Was unser Buch ebenfalls besonders macht: Wir hatten den Luxus einer extrem langen Vorbereitungszeit, konnten uns wochenlang auf die Interviews vorbereiten. Am Ende wussten wir alles über unsere Gesprächspartner.

Ihr behauptet, dass die Medien die Politik vor sich hertreiben. Kannst du ein Beispiel nennen?

SCHMID: Ein bekanntes Beispiel ist der Wulff-Skandal. Bekanntermaßen hat ja die „Bild“-Zeitung seinen Rücktritt eingeleitet. Ein Internet-Opfer war beispielsweise Daniel Cohn-Bendit. 2001 wurde ihm ein Pädophilie-Vorwurf gemacht, basierend auf einem Zitat, das aus der „Kinderladen“-Zeit stammt. Plötzlich war er im Internet der Kinderschänder. Die klassischen Medien, also die Zeitungen, haben ihm relativ schnell verziehen und haben das Thema ad acta gelegt, nachdem er die Sache aufgeklärt hatte. Aber im Internet schwelt das Thema bis heute. Wenn man Cohn-Bendit googelt, wird einem der Suchbegriff „Kinderschänder“ vorgeschlagen. So wie bei Bettina Wulff „Prostituierte“ erscheint. Das ist eine ganz komische Spaltung zwischen Internet und klassischen Medien.

Stecken alle Politiker in diesem „Medienkorsett“, oder habt ihr welche getroffen, die sich entziehen können?

SCHMID: Es gibt einige, die behaupten, sich entziehen zu können. Kretschmann hat zum Beispiel gesagt, dass er sich nicht googelt. Ich glaube aber, dass alle Politiker drin hängen. Ob sie wollen oder nicht. Natürlich funktioniert es auch andersherum. Wir haben die Politiker in unserem Buch meistens als Opfer dargestellt, aber die Politiker nutzen auch die Medien für ihre Zwecke.

Du hast unter anderem Ministerpräsident Winfried Kretschmann interviewt. Der wirkt zumindest äußerlich nicht sehr gehetzt.

SCHMID: Das ist Fassade. Durch die langsame Sprechweise, durch das Schwäbische wirkt er so. Wir haben ihn aber anders erlebt. Er kam zum Interview, wir wurden ihm von seinem Pressesprecher vorgestellt. Er hat eine dreiviertel Stunde mit uns gesprochen. Dann hat er den Pressesprecher gefragt: Was jetzt? Ohne ihn hätte er seinen Terminplan gar nicht gewusst. Kretschmann hat auch ganz offen zugegeben: Er kann nicht mehr schlafen. Ihm geht es gesundheitlich schlecht wegen dieser ganzen Hetze, dem Termindruck. Er hat keine Zeit mehr für seine Hobbys. Die Politik und die Medien setzen ihn stark unter Druck.

Daniel Cohn-Bendit war Sprecher bei den Studenten-Unruhen 1968 in Paris. Unter Journalisten gilt er nicht gerade als einfacher Gesprächspartner. Wie hast du ihn erlebt?

SCHMID: Wir waren sehr positiv überrascht. Für das Gespräch hatten wir mühsam eine dreiviertel Stunde herausgehandelt, am Ende waren es anderthalb Stunden. Cohn-Bendit hat mit uns diskutiert, er hat uns sehr ernst genommen. Auch über die Pädophilie-Geschichte, die ja total heikel ist, haben wir offen mit ihm sprechen können. Er hat sogar nach uns gefragt: was wir studieren und so.

Euer Buch enthält auch ein Interview mit Thilo Sarrazin. Warst du froh, dass du nicht mit ihm sprechen musstest?

SCHMID: Einerseits ja, andererseits nein. Sarrazin hat seine Interviewpartner extrem hart rangenommen. Er hat total krude Wissensfragen gestellt, mit dem Tenor „Wenn ihr das nicht wisst, nehme ich euch nicht ernst“. Man hat das Gefühl, er lebt in seiner eigenen Welt, man kommt mit Kritik gar nicht an ihn ran. Von daher bin ich froh, dass ich ihn nicht interviewen musste. Aber es ist eins der spannendsten Interviews und eines, das der Persönlichkeit Sarrazins sehr nahe kommt.