Die Gastronomen, die vor 163 Tagen ihre Restaurants geschlossen haben. Die Inhaberin des Modegeschäfts, das seit 116 Tagen zu ist. Der Kampfsportler, der sein Studio nicht nutzen darf. Und der Kinobetreiber, in dessen Saal seit 393 Tagen kein Film mehr über die Leinwand geflimmert ist. Sie alle trifft der Lockdown mit voller Wucht. Das ist aber nur ein Aspekt, den die Initiative „Gesicht zeigen 732“ verdeutlichen möchte. Mit der Foto-Kampagne auf Social Media signalisieren Gastronomen, Einzelhändler und andere Selbstständige aus der Region auch: Sie können trotzdem noch lächeln.
„Wir wollen auf die prekäre Lage in unseren Branchen aufmerksam machen und gleichzeitig vermitteln, dass wir nicht hoffnungslos sind“, fasst es der Weilheimer Gastronom Jesse Burgmann zusammen. Gemeinsam mit dem Kirchheimer Fotografen Thomas Jones hat er die regionale Initiative nach dem Vorbild der bundesweiten Aktion „Kulturgesichter“ ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt stehen Schwarz-Weiß-Porträts von Menschen aus dem Postleitzahlengebiet „732“. Anders als bei den „Kulturgesichtern“ beschränkt sich die lokale Kampagne aber nicht auf die Veranstaltungsbranche, sondern schließt alle ein, die beruflich und wirtschaftlich von den Einschränkungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie betroffen sind.
Dazu gehören auch Jesse Burgmann und Thomas Jones selbst. Den letzten regulären Öffnungstag hatte Jesse Burgmanns Restaurant in Weilheim am 30. Oktober. „Seither bieten wir nur noch Essen zur Abholung an“, sagt er. Auch bei dem Kirchheimer Porträt- und Reportagefotografen Thomas Jones ist es schon lange still. „Kein Unternehmen stellt jetzt seine Mitarbeiter nebeneinander oder investiert in Imagebilder mit Masken“, schildert er seine Situation. Jammern ist ihr Ding trotzdem nicht: „Deshalb haben wir beschlossen, uns bei unseren Kundinnen und Kunden mit einer positiven Message ins Gedächtnis zu rufen“, sagt Thomas Jones.
Transportieren wollen die Initiatoren damit auch eine politische Position: „Wir brauchen Perspektiven“, betont Jesse Burgmann. „Und damit meinen wir nicht immer noch mehr Auflagen, sondern sinnvolle, rentable Lösungen.“ Einig ist er sich mit Thomas Jones: „Ein Dauer-Lockdown, der nur bestimmte Branchen mit nachweislich sehr geringem Gefahrenpotenzial und funktionierenden Hygienekonzepten betrifft, ist nicht mehr verhältnismäßig.“
Mit der Aktion haben Jesse Burgmann und Thomas Jones offenbar einen Nerv getroffen. Dem Aufruf für ein erstes Shooting folgten 23 Selbstständige aus der Region. „Die Stadt Weilheim hat uns den kleinen Saal in der Limburghalle zur Verfügung gestellt“, erzählt Jesse Burgmann. Dort nahm Profi-Fotograf Thomas Jones zwei Tage lang einen Teilnehmer nach dem anderen vor die Linse. „Alles coronakonform natürlich“, versichert Jesse Burgmann.
Seit Freitag stellt er jeden Tag ein neues Gesicht auf die eigens für die Initiative erstellten Seiten auf Instagram und Facebook. Ergänzt wird jedes Schwarz-Weiß-Bild von einem Text, den die Porträtierten selbst verfasst haben. Es gibt auch Infos zu ihren Unternehmen und der Zeit, die sie sich schon im Lockdown befinden. Die nackten Zahlen bewegen dabei ebenso wie die Worte. „Seit 163 Tagen im Lockdown“, ist da zu lesen. „Das sind fünf Monate und zwölf Tage.“ Oder: „Das sind etwa 44 Prozent des Jahres.“ Michael und Matthias Riexinger vom Deutschen Haus etwa schildern die Atmosphäre, die seit Monaten in ihrer Gaststätte herrscht. „Der Stammtisch ist seit Wochen leer, die Stühle seit Monaten unbenutzt, das ganze Haus liegt in einer gespenstischen Stille.“
Mit positiver Energie
Marco Cefalu, Betreiber der Kampfsport-Akademie in Kirchheim, bringt in seiner Sportschule Kindern bei, durchzuhalten und nicht aufzugeben, wenn sie vor Herausforderungen stehen. „Jetzt sind wir an der Reihe, unsere eigenen Werte auch vorzuleben und mit positiver Energie durch den Lockdown zu gehen“, schreibt er. Im Statement des Kirchheimer Gastronomen Michael Holz, der neben dem „3K“ auch das Stadtkino mit Bar betreibt, schwingt die Vorfreude auf die Zeit nach dem Lockdown mit: „Dann werden wir das nachholen, was wir so lange vermisst haben“, versichert er. Katrin Holl von Mode Mack in Weilheim hält ihren Beitrag kurz: „Wir halten für euch durch.“
Geld bekommen Jesse Burgmann und Thomas Jones für die Kampagne nicht. „Das machen wir rein ehrenamtlich“, so Burgmann. „Wir wollten einfach etwas tun. Stillstand ist das Schlimmste“, ergänzt Thomas Jones. Wohin die Aktion noch führt, lassen die beiden offen. Bei Interesse könnte es ein weiteres Shooting geben. Auch eine Ausstellung mit den Porträts oder eine Plakataktion schließen die Initiatoren nicht aus.
2 Veröffentlicht werden die Fotos via Facebook und Instagram. Wer teilnehmen möchte, kann sich über diese Kanäle auch bei den Initiatoren melden: www.facebook.com/GesichtZeigen732 www.instagram.com/gesichtzeigen732