Notzingen. Wie konnte es zu einem so großartigen Programm mit dieser ungewöhnlichen und mutigen Besetzung in einem Notzinger Kirchenraum kommen? Was sich viele Besucher spätestens am Ende des Konzertes von Laudamus Te aus Stuttgart fragten, muss hier gleich vorweg beantwortet werden: Es war der Treffpunkt Kirche und Kultur der Evangelischen Kirchengemeinde Notzingen, der sich von der Idee begeistern ließ, Chor und Orchester unter der Leitung von Monica Meira Vasques nach Notzingen einzuladen; wohl wissend, dass es einer großen Anstrengung bedarf, Kirchenmusik auf diesem hohen Niveau zu vermitteln. Doch die zahlreich erschienenen Zuhörer empfingen alle drei Programmteile mit großer Zuwendung und Aufmerksamkeit.
Überwältigend war gleich der Auftakt. Chor und Orchester im Einklang mit der Orgel auf der Empore ließen den Raum mit dem Psalm 130 „Aus der Tiefe des Abgrunds rufe ich dich an, Jahwe, höre mein Gebet!“ in höllischen Tiefen erbeben. Die bereits mit 24 Jahren verstorbene französische Komponistin Lili Boulanger (1893 – 1918) vertonte diesen Psalm 1914 in der Zeit der Unruhe und großen Verzweiflung am Beginn des Ersten Weltkriegs. Die hochqualifizierten Sängerinnen und Sänger wagten sich bis an die Grenzen des Aufschreis aus der Tiefe, brachten stimmlich zum Ausdruck, wie stark das Leiden den Menschen berühren kann.
Inspiriert von den Worten des Psalms 130 hat die 1961 in Brasilien geborene Dirigentin Monica Meira Vasques vergangenes Jahr ein Werk für drei Frauenstimmen und Solovioline komponiert, das sie der darbietenden Violinistin Adelheid Abt gewidmet hat. Die Solistinnen Sonia Maria Höfler, Alt, Marie-Elisabeth Stadelmann, Sopran, und Gertrud Funk, Sopran, collagierten das Thema kunstvoll als Kanon im Dialog mit der Violine. Die Strophe „Wenn du, Herr, Sünden beachtest, wer wird, Herr, bestehen?“ setzte Vasques im Sprechgesang um.
Die Solistinnen sangen hervorragend. Sie überzeugten mit klaren durchsichtigen Tonfarben. Die Violinistin Adelheid Abt wirkte nicht nur als Begleiterin mit, sie improvisierte auch als begnadete freie Spielerin.
Höhepunkt des Abends war das Requiem von Johannes Brahms. „Ein deutsches Requiem“ von Brahms ist nicht vergleichbar mit Requien anderer Komponisten. Sein Format war fast frei von der lateinischen Messe. Brahms nahm die Texte direkt aus der Bibel. In der Reihenfolge stellte er seine eigenen theologischen Auslegungen dar. Dieses Requiem fängt mit dem Evangelium Christi an. Nicht wie gewohnt mit der Bitte „Kyrie eleison“ (Herr, erbarme dich), sondern mit der Antwort aus Matthäus 5, 4 „Selig sind, die da Leid tragen“.
Die unheimliche Stimmung an der Stelle „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“, erinnert an das „Dies irae“ (Der Totentanz) von Franz Liszt. Warnung und Nachdenklichkeit zugleich. Der Stolz des Menschen ist nur die Eitelkeit (Solomons Sprüche).
Die Dirigentin ließ die Chorstimme bei dem Wort „Herrlichkeit“, das im langen Ton steht, ein deutliches „Decrescendo“ singen. Wie Menschen den Schein der Eitelkeit mit der Herrlichkeit Gottes verwechselt haben.
Den Solopart der Sopranistin Carin Rommel „Ihr habt nun Traurigkeit“ begleitete der Chor in einem weichen wolkigen Klang mit dem Text „Ich will euch trösten“. So kontrastierte der Sopran über der chorischen harmonischen Fläche, ohne sich dabei von der Balance in der Komposition zu entfernen. Demgegenüber meisterte der Bariton Ralf Ellinger glänzend die markigen Aussagen dieses gewichtigen Requiems.
Monica Meira Vasques, die ihr Werk direkt vor der Aufführung analysiert und erklärt hatte, kann sich darüber freuen, in Notzingen ein zufriedenes und dankbares Publikum erobert zu haben. Chor und Orchester Laudamus Te, unter der exzellenten musikalischen Leitung der Dirigentin, machten das Konzert in der schönen Jakobuskirche zu einem gigantischen Erlebnis. Der lang anhaltende Beifall war Beweis dafür.