Down-Syndrom im Alltag: Lernen lässt sich alles – nur dauert es manchmal ein bisschen länger
„Lennard läuft bei uns einfach mit“

Ein Leben mit Down-Syndrom braucht sich von einem Leben ohne Down-Syndrom nicht 
groß zu unterscheiden. Das zu vermitteln, ist das Ziel des morgigen Welt-Down-Syndrom-Tags. Der Aktionstag ist seit einem Jahr von den Vereinten Nationen offiziell anerkannt.

Kirchheim. Für die Familie Kärcher-Schmidt aus Nabern ist das Leben mit Down-Syndrom eine Selbstverständlichkeit, die im Alltag kaum auffällt: Die Brüder Lennard und Benno sind ein Gespann wie andere Geschwisterpaare auch. Sie können toben und herumalbern. Genauso gut können sie aber auch konzentriert spielen und liebevoll miteinander umgehen. Es gibt höchstens eins, was im Vergleich zu anderen Brüdern anders ist: Die vier Jahre Altersunterschied machen sich nicht ganz so stark bemerkbar.

„Lennard lernt alles, es dauert halt länger“, sagt seine Mutter Britta Kärcher. So hat der Achtjährige inzwischen sein Seepferdchen gemacht, was für ihn so wichtig ist wie für seine Eltern. „Er liebt Wasser“, erklärt seine Mutter und fügt an, es könne auch passieren, dass Lennard in seiner Begeisterung über ein Gewässer einfach reinspringt – in voller Montur. Gerade diese Begeisterungsfähigkeit und die Spontaneität finden sich häufig bei Down-Syndrom-Kindern.

Das Schwimmen ist aber nur ein Beispiel für Angebote, die Lennard zur Verfügung stehen sollen, genau wie seinem vierjährigen Bruder Benno. So geht beispielsweise die ganze Familie sehr gerne zum Skifahren, und selbstverständlich steht auch Lennard auf den Brettern. Er hat dann einen Gurt an, und über ein Seil sorgt der Vater für die nötige Sicherheit im steilen Gelände.

Ähnlich sieht es mit Radfahren aus. Das hat Lennard jetzt auch schon ganz gut im Griff. Nur eine Einschränkung gibt es noch, wie seine Mutter sagt: „Er kann noch nicht richtig bremsen.“ Radeln darf er deswegen trotzdem. Die Mama rennt halt nebenher und unterstützt ihn, wenn er anhalten möchte. Eine Devise der Eltern lautet: „Wir wollen Lennard alles bieten, was wir Benno auch anbieten.“ Wenn er allerdings signa­lisiert, dass er keine Lust hat, dann muss er das Angebot natürlich nicht wahrnehmen.

Aber Lennard hat zu vielen Dingen Lust – zum Beispiel auch auf Musik, Rhythmus, Tanz. Gemeinsam mit seinem Freund Sebastian genießt er jede Woche eine halbe Stunde speziellen Unterricht, den Kirchheims Musikschulleiter Urs Läpple für die beiden gestaltet. Lennard und Sebastian sind glücklich, wenn sie zusammen singen, Rhythmen klopfen und auch die verschiedensten Instrumente ausprobieren können.

Durch Ausprobieren hat Lennard überhaupt schon vieles gelernt. Als er in den Kindergarten kam, konnte er noch nicht laufen, erzählt seine Mutter. Für die anderen Kinder war das aber gar kein Problem: Vom ersten Tag an haben sie ihn unter den Armen gepackt und in den Garten mitgenommen. Nach sechs Wochen war es dann so weit: Lennard hatte das Laufen gelernt.

Nicht viel anders ging es mit dem Sprechen. Jeden Tag lernte er im Kindergarten neue Wörter, und Britta Kärcher erfuhr von seinen kleinen Kameraden, welche sprachlichen Fortschritte Lennard wieder gemacht hatte. Der Regelkindergarten vor Ort war für Lennard also genau das Richtige: Er hat sich dort wohlgefühlt, und die anderen Kinder haben ihn sogar nach Kräften gefördert.

„Mit der Schule war es dann schon schwieriger“, gibt Britta Kärcher zu. Nachdem Lennard in einem „normalen“ Kindergarten gewesen war, wollten sie und ihr Mann auf gar keinen Fall, dass er danach auf eine separate Schule geht. Zur Diskussion stand eine Einzellösung in Nabern, was dann aber aufgegeben wurde zugunsten einer Außenklasse der Bodelschwingh-Schule an der Bissinger Grund- und Hauptschule.

Dort geht Lennard inzwischen in die zweite Klasse. In seiner Außenklasse gibt es sechs Kinder mit speziellem Förderbedarf, die immer wieder auch am ganz „normalen“ Unterricht der zweiten Klasse teilnehmen. Trotzdem sei das eigene Klassenzimmer als Rückzugsort für die Außenklasse wichtig, betont Britta Kärcher. Genau dieser Rückzugsort würde fehlen, wenn das Konzept der Außenklasse an einer weiterführenden Schule wegfällt. Wie es also nach der vierten Klasse weitergehen soll, das ist nach wie vor ein großes Rätsel und ein großes Problem für die Familie.

Ansonsten allerdings gab es nie wirkliche Probleme – weder für die Eltern noch für den kleinen Bruder. „Benno kennt das gar nicht anders. Er hat das auch noch nie hinterfragt, was mit seinem Bruder ist“, sagt Britta Kärcher. Für sie und ihren Mann war das Down-Syndrom auch kein großes Thema. Eine entsprechende pränatale Untersuchung hatten sie abgelehnt, weil es für beide von vornherein feststand, dass sie sich auch im Falle einer Trisomie-21-Diagnose nicht für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden würden.

Bei Lennards Geburt habe es schließlich unabhängig von der Down-Syndrom-Diagnose genügend Komplikationen gegeben. Die Eltern wussten lange Zeit gar nicht, wie es weitergehen würde, ob ihr Sohn eine Überlebenschance hat. „Nach vier Wochen waren wir dann froh, dass wir überhaupt ein Kind nach Hause bekommen haben.“

Nur ein ernsthaftes Problem habe es gegeben: Nachdem Lennard zunächst über eine Nasensonde ernährt worden war, wollte er nichts essen. Der Kampf ums Essen hat insgesamt sechs Jahre gedauert. Schließlich hat Lennard in einer Klinik das Essen durch radikales Hungern gelernt, unter medizinischer Aufsicht und in Begleitung seiner Mutter.

Wie jedes andere Kind, hat auch Lennard seinen eigenen Willen – nicht nur beim Essen. Britta Kärcher ist deshalb sehr froh, dass ihrem Sohn die Schule so gut gefällt. „Schule Spaß“, sagt er, wenn er nach Hause kommt. Und noch etwas ist wichtig: dass er eben auch Schulfreunde einladen kann, zum Beispiel Salome. „Lennard sieht, dass Benno sich mit Freunden trifft, und das will er dann auch“, sagt Britta Kärcher. So habe er schon ein paar Mal gebeten: „Salome suchen“. Gemeint sei damit „besuchen“, und zwar unabhängig davon, wer wen besuchen kommt, Salome Lennard oder Lennard Salome.

Solche Besuche sind wichtige Bestandteile eines ganz normalen Lebens, das Lennards Eltern ihrem Sohn bieten wollen. Noch wichtiger ist aber, dass sie es nicht nur wollen, sondern dass sie tatsächlich ein ganz normales Leben mit ihm führen können. Auch wenn Britta Kärcher davon ausgeht, dass es künftig immer weniger Kinder mit Down-Syndrom geben wird – einfach aufgrund der Pränatal-Diagnostik und der Möglichkeit, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden –, kann sie für sich selbst konstatieren: „Ich denke nie darüber nach, dass ich ein Kind mit Down-Syndrom habe. Lennard läuft bei uns einfach mit, und er macht auch alles mit.“