Kirchheim. Über die Liebe ist schon alles gesagt worden– glaubt man. Es gibt kaum einen erstzunehmenden Komiker, der sich nicht bemüßigt fühlt, mit Zweierbeziehungen weite Teile des Programms zu bestreiten, um endlich Licht in das Dunkel des Geschlechterkampfes zu bringen.
Wolf-Dieter Truppat
Spätestens seit Oswald Kolle liegen vielfältigste Erkenntnissen vor über den Mann beziehungsweise die Frau als „Das unbekannte Wesen“. Loriot ging sogar so weit, immer wieder seine Meinung mutig zu wiederholen, dass Männer und Frauen nun einmal nicht zusammenpassen.
Viele, die besser schon im Vorfeld widerrufen hätten, sind an diesem Thema auf der Bühne, in Kleinkunstkellern und selbst in großen Stadien kläglich gescheitert, haben gelangweilt, sich in Zoten verrannt oder die immer wiederkehrenden Klischees der Geschlechterrollen lediglich in unterschiedlicher Reihenfolge aneinandergefügt. Dem Veranstalter Manne Kurz ist zu verdanken, dass mit „Love Hurts“ ein immer wieder guter Klassiker endlich auch den Weg nach Kirchheim gefunden hat – und zurecht frenetisch gefeiert wurde.
Entsprechender Bedarf war offensichtlich vorhanden, denn das weitsichtige Trio hat ein „Comedy Popdrama“ geschaffen, das tatsächlich ein Genuss für Beziehungsgeschädigte und ein Muss für frisch Verliebte ist. Völlig zu Recht wird selbstbewusst damit geworben, dass ein Besuch der Veranstaltung im Zweifelsfall drei Jahre Eheberatung ersparen könne und beim Thema Sparen kennt sich der schaffige Häuslebauer ja zweifellos deutlich besser aus als bei dem auch für ihn völlig unverständlichen Wunder der Liebe.
Bekannt dafür, nicht unbedingt mehr zu sagen als unbedingt erforderlich, tut sich ein frisch ver- oder entliebter Schwabe naturgemäß ganz besonders schwer damit, seine hinter nicht vorhandener Mimik gut verborgenen Gefühle in einigermaßen verständliche Worte zu packen. Das überrascht nicht bei einem Menschenschlag, der damit kokettiert, alles zu können außer Hochdeutsch.
Dass es unter solch erschwerten Bedingungen eigentlich völlig ausgeschlossen ist, die Worte „Ich liebe dich“ dann auch noch im richtigen Tonfall über die Lippen zu bringen, ist bekannt. Dass man diese individuellste aller Allgemein-Phrasen im eigenen Dialekt nicht lautrein aussprechen, zugleich aber souverän in mehreren Fremdsprachen sagen und vor allem auch lautstark mitsingen kann, ist eine kluge Beobachtung und war bei „Love Hurts“ der Schlüssel zum Erfolg.
Das Ergebnis ist eine an Wortwitz, Spielfreude, Originalität und Musikalität kaum zu überbietende kurzweilige Musikrevue, die die zweistündige virtuose Beschäftigung mit einem an und für sich eher „banalen Stoff“ und einem noch erschwerend dazukommenden Happy End zu einem absolut kurzweiligen Vergnügen machte.
Der Spaß litt im Grunde nur in den Momenten, in denen die Zuschauer sich erkannt und überspitzt dargestellt fühlten – und solche Momente gab es viele . . .
Harmonie gab es eigentlich nur bei der ungemein geschickt ausgewählten und meisterlich präsentierten Musik, die freilich viel von ihrem romantischen Glanz verlor, wenn die Texte gelegentlich nicht nur übersetzt, sondern zuweilen auch neu interpretiert oder gnadenlos dechiffriert wurden.
Ungeschminkt und ungeniert, zartromantisch und zynisch bis zur Scherz- und Schmerzgrenze ausgelotet, zelebrieren Sigi Gall, Cherry Gehring und James Geier Lebens- und Liebeslügen am laufenden Band und packen das alles in eine mitreißende Musikmelange, die zuweilen wehtat und gleichzeitig auch ungemein Spaß machte.
Immer dann, wenn es ihnen selbst etwas zu heftig wurde, hielten sie das Bühnengeschehen einfach kurz an, um das gerade Gezeigte mit wissenschaftlichen Analysen zu unterbauen, mit wahnwitzigen Beispielen zu belegen oder auch nur zurückzuspulen und dieselbe Szene in unterschiedlichen Dialekten und damit verbundenen unterschiedlichen Denkweisen einfach wieder neu zu erfinden.
Dass sich das Beuteverhalten von Männern seit ihrer Zeit als Sammler und Jäger nicht geändert hat und der Mann von heute statt wortlos ins Feuer zu schauen genauso bewegungslos den Flachbildschirm fixiert, wurde szenisch einfach brillant in Bühnenbilder gemeißelt.
Die berühmte Unfähigkeit des Mannes, zwei Dinge gleichzeitig zu machen, wurde von der mehr als multitaskingfähigen Sigi Gall so perfide überspitzt persifliert, dass es eine reine Freude war. Die dem Stück massiv ihren Stempel aufdrückende Powerfrau brillierte als Macho, der beim bloßen Anblick einer Blondine nicht einmal mehr in der Lage ist, weiter auf dem Kaugummi herumzukauen.
Geradezu grausam wurde auch das „leistungsunabhängige Selbstbewusstsein von Männern“ in für sich sprechenden einfachen Bildern seziert. Die auf dem Sofa sich rekelnde Ehefrau und der heroisch mit Bügeleisen und Oberhemd kämpfende Hausherr taten nicht viel, gaben aber alles preis und waren schlicht und ergreifend grandios.
Das im Verlauf des Abends immer mehr außer Rand und Band gekommene Publikum wollte die geschlechtsübergreifenden Nachhilfestunden und Verhaltensstudien gar nicht enden lassen. Die Zugabe-Rufe verstummten nach einem furiosen Finale eigentlich erst beim Werbeblock in eigener Sache.
Nachdem die drei Vollblutkomiker und -musiker sich und ihr Publikum im neu aufgemischten Klassiker um den „K(r)ampf der Geschlechter“ fast aufgerieben hatten, verkündeten sie die beruhigende frohe Botschaft.
In ihrem zweiten Comedy Popdrama „Die Nacht der Gewohnheit“ entwerfen die drei Backblech-Ensemblemitglieder eine Hoffnung machende Hommage an die Langzeit-Beziehung zwischen Langeweile, Abenteuerlust und Karrieresucht. „Höllauf beGEISTert“ präsentieren sie sich inzwischen auch in ihrem allerneuesten Stück, in dem eine Agentur für Lebensfragen im Blick auf die heranschleichende Midlife-Crisis ein Inferno entfacht, von dem selbst Dante nichts ahnen konnte.