„Klassische Nacht“ in Dettingen beschert dem Publikum einen himmlischen Abend
Liebe, Sünde und ein Augenzwinkern

Dettingen. Operette ist wieder im Kommen. Während sündhaft teure Musicalproduktionen ihre Veranstalter immer effekthaschender in 


die roten Zahlen treiben, reicht etwa für Nico Nostals „Abenteuersuche“ eine im Look der 1920er Jahre gekleidete Frauengestalt mit farbenreichem Sopran und ein einfühlsamer Pianist, der im wiegenden Dreiertakt jenen Männertypus verkörpert, der in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen en vogue war: Den möglichst unscheinbaren, aber dennoch hoch wachsamen Begleiter. Und es reicht ein griffiger Titel wie „Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will!“

Überhaupt die 1920er. „Eine Frau, die sich öffentlich zur Untreue bekennt, kann doch heute wohl niemanden mehr schocken!“, lächelte Sopranistin Gudrun Kohlruss, der Brisanz ihrer Frage mehr als bewusst, ins zahlreich auf dem Dettinger Rathausplatz versammelte Publikum. Doch natürlich tat ihr niemand den Gefallen, mit der stimmungsvoll angestrahlten Georgskirche im Blickfeld, auch nur kurz zusammenzuzucken. Dabei war auffallend oft an diesem sommerlichen Freiluft-Abend am Freitag von der Sünde die Rede oder besser: der Gesang.

„Was hat eine Frau von der Treue?“ wurde provokant nach Paul Abraham gefragt und Pianist Andreas Kersten gab dazu die wohl passende, für ihn jedoch ungewohnt taktlose Antwort: „Kommt drauf an, welchem Mann gegenüber!“

Leben wir heute, beinahe 100 Jahre nach Marlene Dietrich und Edith Piaf wirklich so viel prüder und moralisch gehemmter? „Es ist doch einerlei, wen du liebst!“, kleidete „Operetten-Papst“ Carl Millöcker sein Walzerlied in umgarnende Harmonien. Gudrun Kohlruss war jetzt ganz in feuerrot gekleidet und ihr riesengroß verzerrter Schatten zeichnete jede ihrer Gesten tiefschwarz auf der Fassade des alten Schulhauses in Dettingen nach. Es war der knatternde Traktor, der trotz Fahrverbots mit seinem beißenden landwirtschaftlichen Duft wieder den gesunden, erdigen Boden bereitete: Hier glänzte nicht weltmännisch das Berliner Varieté oder prunkte das Wiener Burgtheater, sondern es heimelte lächelnd und augenzwinkernd unter der Dettinger Linde, seit jeher der Ort unverbrüchlicher Treueschwüre.

Ein männlicher Gast ließ sich sogar von der Hauptdarstellerin des Abends zu einem gesungenen Tanz umgarnen, ermutigt vom Beifall der Anwesenden in der heimlichen Hoffnung, dass der mutige Tänzer als „Mann, der Sünde wert“ sich gerade zufällig nicht in festen Händen befand. Der Abend war, trotz des musikalisch schlüpfrigen Genres himmlisch, wie eine Vertreterin der veranstaltenden „Kultur-ecce“ in Dettingen, völlig im Einklang mit dem Publikum, begeistert feststellte. Und es beeindruckt zutiefst, dass mit dem Anspruch, Menschen kulturell zu verbinden und zu beglücken, Veranstaltungen mit hochkarätigen Künstlern wie Gudrun Kohlruss und ihrem Begleiter Andreas Kersten bei freiem Eintritt durch diesen Verein ermöglicht werden.

Dennoch drehte der Gedanke auf dem Nachhauseweg durch die sich ungemütlich abgekühlte Nacht weiterhin seinen unaufhörlichen CanCan: War das Frauenbild der 1920er Jahre wirklich so sehr viel selbstbestimmter als heute?