Basketball

Freie Sicht auf die Grenze

Basketball Sieben Spieltage vor Schluss legt Tübingen den Kirchheimer Kräfteverschleiß schonungslos offen. Parra lässt im Training Druck aus dem Kessel. Von Bernd Köble

Ob Beten eine Alternative ist? Knights-Coach Mauro Parra am Samstag an der Seitenlinie.Foto: Tanja Spindler
Ob Beten eine Alternative ist? Knights-Coach Mauro Parra am Samstag an der Seitenlinie.Foto: Tanja Spindler

Rekorde sind im Sport das Salz in der Suppe. In falscher Relation können Bestmarken schon mal auf den Magen schlagen. Saisonrekord Nummer eins: 1 230 Zuschauer erlebten am Samstag das Spiel der Knights gegen Tübingen in der Sporthalle Stadtmitte. Saisonrekord Nummer zwei: 94 Punkte kassierten die Kirchheimer gegen den Tabellennachbarn. Das tut weh. Allein schon deshalb, weil es nach dem Spiel Anfang Dezember in der Stuttgarter Scharrena bereits die zweite Bauchlandung daheim vor großem Publikum war.

Zu reklamieren gab es auch diesmal nichts. „Wenn der Gegner klar besser ist, muss man das anerkennen.“ An dieser Einschätzung hatte sich bei Knights-­Coach Mauricio Parra auch nach dem Wochenende nichts geändert. Ein Satz, den man zuletzt häufiger gehört hat. Der Gegner aus Tübingen war das, was man in Kirchheim befürchtet hatte: Eine Mannschaft, die unter einem neuen Trainer ihr wahres Potenzial ausschöpft. Mit brandgefährlichen Distanzschützen wie Donald Timmer oder Tyler Laser und mit erstligaerfahrenen Centern wie Enosch Wolf und dem Litauer Robertas Grabauskas.

Kirchheim dagegen wirkte müde, überspielt, ausgelaugt. Nach einer Anfangsphase, in der die Ritter nichts, die Gäste alles trafen, waren die Karten schnell verteilt, und die Gründe lagen auf der Hand. Rhondell Goodwin brauchte nach seiner Verletzungspause eine Halbzeit lang, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Null von sieben Versuchen aus der Distanz allein im ersten Viertel, das kannte man von ihm bisher kaum. Alternativen? Fehlanzeige. Austin Luke jedenfalls war auch diesmal keine und bei Dajuan Graf hinterlässt der Verschleiß immer sichtbarere Spuren. Nur Schalkes Courtney Belger stand in der Saison länger auf dem Parkett als Kirchheims Spielmacher. Bleibt das Spiel unterm Korb, wo Keith Rendleman am Samstag eine seiner seltenen Auszeiten nahm, Jalen Canty eine von vielen hinzufügte und ein starker Andreas Kronhardt am Ende dann doch zu wenig war. In Zahlen: 24 zu 39 Rebounds. Damit ein Spiel zu gewinnen, ist schwierig.

„Es war das erste Mal, dass wir den Kopf gesenkt und resigniert haben“, musste Mauricio Parra hinterher feststellen. Was er damit meint: Wenn das Fleisch schwach ist, ist irgendwann auch der Geist nicht mehr willig. Die Saison mit maximal neun Spielern in der Rotation zeigt Wirkung, und der Coach räumt Fehler ein. Er habe vielleicht zu spät bemerkt, dass beim einen oder anderen die Kräfte schwinden, sagt Parra. Inzwischen heißt es im Training: Weniger ist mehr.

Wohin geht der Blick? Nach oben kaum mehr, auch wenn der Trainer tut, was in solchen Situationen alle Trainer tun: Er strahlt geschäftsmäßigen Optimismus aus. „Solange die Play-offs mathematisch möglich sind, glauben wir daran.“ Das Problem: Rein rechnerisch ist auch der Abstieg möglich. Sechs Punkte Vorsprung sind es auf den vorletzten Hanau, der die Knights am 9. März zu Hause empfängt. Das Gute daran: Die gute Ausgangslage im direkten Vergleich gegen alle Teams dahinter macht es eher unwahrscheinlich, dass es tatsächlich noch einmal eng werden könnte.

Sportchef Christoph Schmidt, der bekannt ist für seinen defensiven Umgang mit Saisonzielen, zeigt sich zunehmend genervt von Rechenspielen und falschen Erwartungen in der Öffentlichkeit. Nach dem Galaauftritt in Tübingen wähnten viele schon beide Teams auf Augenhöhe. „Vielleicht ist es an der Zeit, die Realitätskeule auszupacken“, sagt Schmidt. „Den Leuten muss klar sein, dass wir nicht unterperformen, sondern dort stehen, wo auch wirtschaftlich unser Platz ist.“

Privat performt der 35-Jährige derzeit eher über: Im Landesliga-Duell des VfL mit dem TV Konstanz war Schmidt am Sonntag zweitbester Scorer. Vier von vier Dreiern - von solchen Quoten konnten sie am Samstag nur träumen.

Ohne 50 geht keiner aus der Halle

Eines muss man Mauricio Parra lassen. Auch in bitteren Stunden wie am Samstag nach dem Tübingen-Spiel verschwindet Kirchheims Coach nicht sang- und klanglos von der Bildfläche, sondern steht - wenn‘s sein muss - auch den Fans Rede und Antwort. Die Frage war nicht ketzerisch, sondern durchaus ernst gemeint: Ob seine Mannschaft unter der Woche auch Freiwürfe trainiere, wollte ein Zuschauer wissen. Nachdem im Spiel bei einer Quote von 57 Prozent fast jeder zweite Wurf von der Linie daneben ging, ein durchaus berechtigtes Anliegen.

Parra nahm die Frage ernst und klärte den Mann höflich auf. „Ohne 50 geht im Training keiner aus der Halle“, so der Spanier. Keine Versuche, sondern verwandelte Würfe, versteht sich. Wie viele Überstunden manch einer ableisten muss, ist nirgends dokumentiert. Im ligaweiten Vergleich stehen die Knights dort, wo sie auch in der Tabelle stehen: auf Platz zwölf - mit einer Freiwurfquote von durchschnittlich 68,9 Prozent.bk