Basketball

Marx für Einsteiger

Basketball Chemnitz und die Ökonomie des Spiels: Der Spitzenreiter hat gegen Kirchheim gezeigt, wie man den Gegner trifft, wo es am meisten wehtut. Von Bernd Köble

Vom Mitläufer zum Hauptdarsteller: Jalen Canty (am Ball) hielt die Knights in Chemnitz lange im Rennen. Jetzt hoffen alle auf di
Vom Mitläufer zum Hauptdarsteller: Jalen Canty (am Ball) hielt die Knights in Chemnitz lange im Rennen. Jetzt hoffen alle auf die Initialzündung beim 23-Jährigen.Foto: Peter Zschage

Jeder geht anders mit kulturellem Erbe um. In Chemnitz tut man es - vorsichtig ausgedrückt - bemerkenswert unverkrampft. Dass im ehemaligen Karl-Marx-Stadt seit den Siebzigern eine monströse Büste des Namensgebers das Stadtbild schmückt, mag nachvollziehbar sein. Dass der Volksmund daraus einen „Nischel“ macht - geschenkt. Seit vergangenem März ziert Marxens Konterfei anlässlich seines 200. Geburtstags sogar Bier-Etiketten einer lokalen Brauerei. Einer der bedeutendsten Philosophen des 19. Jahrhunderts als hüpfendes, wild mit den Armen ruderndes Maskottchen, an einem Ort, der „Richard-Hartmann-Halle“ heißt, benannt nach einem Maschinenfabrikanten aus dem vorvergangenen Jahrhundert - darauf muss allerdings erst mal einer kommen. Schließlich hat Marx mit Basketball in etwa so viel am Hut wie generell mit Chemnitz. Doch das ist dann am Ende auch vollends wurscht.

Immerhin ließe sich das Treiben in der Chemnitzer Arena seit Saisonbeginn im übertragenen Sinn als eine Art Klassenkampf betrachten: Wer hier als Fremdarbeiter aufschlägt, der schuftet in der Regel für lau. Erst zweimal in bisher zehn Heimspielen seit September gingen die Niners in eigener Halle nicht als Sieger vom Parkett. Ihr wichtigstes Kapital, um es mit Marx zu sagen: die Ökonomie des Spiels, die auch am Samstag verhinderte, dass der Gegner aus Kirchheim den zwei bisherigen Heimpleiten eine dritte anhängen konnte. Die Wurfquote der Chemnitzer übers gesamte Spiel gerechnet war keineswegs überragend. Doch wer immer genau dann trifft, wenn es den Gegner maximal schmerzt, verfügt über Qualität, die es braucht, um ganz oben zu stehen. Deshalb gab es auch für einen Trainer wie Mauricio Parra nach der Niederlage wenig mit sich oder anderen zu hadern. „Wer Spieler wie Eliott, Ziegenhagen oder Vest von der Bank bringen kann, hat eine Klasse, die wir nun mal nicht haben“, sagt Kirchheims Headcoach.

Parra hat mit dem Spiel seinen Frieden geschlossen. Die Tatsache, dass sich seine Mannschaft nach einem 20-Punkte-Rückstand, wie er sagt, „nicht abschlachten ließ“, oder der starke Auftritt von „Sorgenkind“ Jalen Canty, das sind Dinge, die man mitnehmen kann. Die Knights sind im Soll. Spiele, die man gewinnen sollte, um mit dem Abstieg nichts zu tun zu haben, hat man gewonnen. „Was uns fehlt“, sagt Parra, „ist ein richtig großer Sieg. Ein Big Point.“

Es gibt aber auch Probleme, die sich zu verhärten drohen. Von deutscher Seite im Kirchheimer Team kommen deutlich zu wenig Impulse. Spieler wie Wohlrath, Daubner oder Rockmann, der zuletzt gegen Nürnberg immerhin ein Lebenszeichen sendete, sind momentan wichtige Stützen in der Defensive - mehr aber auch nicht. Der Trainer zeigt sich geduldig, führt viele Einzelgespräche. „Es geht weniger um Kritik, als vielmehr um Ursachenforschung“, sagt Parra. Schließlich gab es schon Phasen in dieser Saison, die gezeigt haben, welches Potenzial in jedem steckt.

Am Samstag wird es ein ganz anderes Spiel, mit deutlich mehr Druck. Dann kommt mit Baunach ein Abstiegskandidat. Eine undankbare Aufgabe: „Wenn du verlierst, bist du der Depp, wenn du gewinnst, klopft dir keiner auf die Schulter“, weiß der Trainer. Dabei ist das Bamberger Farmteam ein unberechenbarer Gegner, mit unglaublichen Talenten, denen allein die Erfahrung fehlt. Parra, der die denkwürdige Partie der Franken am Sonntag gegen Trier (siehe Infoteil) live am Bildschirm verfolgt hat, sagt: „Das wird ein hammerhartes Spiel.“

Ein total verrücktes Spiel

Baunach, nächster Gegner der Knights in der Sporthalle Stadtmitte, hat am Sonntag für Gesprächsstoff gesorgt. Die 112:115-Heimniederlage der Franken nach zweimaliger Verlängerung gegen Trier ist die bisher spektakulärste Begegnung der Pro A in dieser Saison.

Besonders tragisch aus Sicht des Tabellenvorletzten: Die Bamberger Talentschmiede brachte einen 23-Punkte-Vorsprung Mitte des dritten Viertels nicht ins Ziel. Mit einem 17-Punkte-Polster ging es ins Schlussviertel, wo Triers Kelvin Lewis zehn Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit mit einem Vier-Punkte-Spiel der Ausgleich gelang.

Im zweiten Teil der Verlängerung setzte sich aufseiten der Trierer Erfahrung gegen Talent im mit durchschnittlich 19,1 Jahren jüngsten Team der Liga durch. Simon Schmitz, erstligaerprobter Spielmacher der Gladiators, traf per Dreier zum 113:112. Jermaine Bucknor verwandelte nach einem unsportlichen Foul des 18-jährigen Henri Drell beide Freiwürfe in den Schlusssekunden.

In Kirchheim kursierten danach zwei Rechenmodelle: Während die einen froh sind, dass am Tabellenende alles beim Alten bleibt, sieht das der Trainer anders: „Mir wäre lieber gewesen, Baunach hätte gewonnen“, sagt Mauricio Parra. „Mein Blick geht immer nach oben und weniger nach unten.“bk