Weihnachten ist die Zeit der Wunder, und die sind bekanntlich nur schwer zu erklären. Wer auf der Lebensbahn die Ratio ans Steuer lässt, dem bleibt nur, beide Augen zuzudrücken. Basketballfans - zumal die Kirchheimer - haben es da wesentlich einfacher. Ihr Wunder ist keine Frage des Glaubens. Die fantastische Geschichte, die ihnen seit Weihnachten aufgetischt wird, ist Woche für Woche überprüfbar - in Echtzeit und dank akribisch geführter Statistik bis ins letzte Detail. Seit dem 19. Dezember, dem Tag der letzten Niederlage vor Beginn der neuen Kirchheimer Zeitrechnung, zeigt sich die Welt der Knights plötzlich „upside down“ - um in der Dienstsprache der Korbjäger zu bleiben.
Aus dem Tabellenkeller ans grelle Licht. Vom fünffach Gedemütigten zum sechsfachen Seriensieger. Vom Underdog zum Favoritenschreck. Wer Favoriten wie Rostock oder Jena so konsequent kaltstellt, ist irgendwann selbst einer. Wie also, ist das alles zu erklären in einer Saison, die gerade erst begonnen zu haben scheint? Glaubt man dem Trainer, jedenfalls mit keinem Wunder. Für Igor Perovic ist das, was ist, nichts mehr als das, was zu erwarten war, und aus seinem Mund klingt das keinesfalls überheblich. „Wir haben jetzt das Selbstvertrauen, das uns gefehlt hat,“ sagt er. „Alles andere hatten wir schon vorher.“ Ob er nicht doch ein klein wenig überrascht sei vom plötzlichen Wandel? „Nein“, sagt Perovic. „Ich sehe die Jungs ja jeden Tag.“
Die machen im Moment das Beste aus einem für Kirchheimer Verhältnisse ungewöhnlichen Luxus: Zwölf Spieler mit Pro-A-Format - das hatte es selbst im Jahr der Vizemeisterschaft 2012 nicht gegeben. In Jena, Rostock oder Bremerhaven mag das die Normalität sein. Leistungsträger zum Atemholen auf die Bank zu beordern, hieß in Kirchheim jahrelang, den Bruch im Spiel zu riskieren. Kirchheimer Pointguards waren stets die Spieler mit den längsten Einsatzzeiten der gesamten Liga. Jetzt schickt Perovic mit Williams, Leufroy und Miksic schon mal drei Guards gleichzeitig aufs Parkett und sichert sich damit gegen großgewachsene Gegner wie Jena einen offensiven Tempovorteil. Draußen sitzen mit Nico Brauner und dem 18-jährigen Aleksa Bulajic dann immer noch zwei sorgenfreie Alternativen.
Die Chemie stimmt, die Charaktere passen. Seit Brauner, Miksic und Mahoney fit sind, ist auf Kirchheimer Seite mehr Adrenalin im Spiel. Davon profitieren auch ruhigere Spielertypen wie Kevin Wohlrath oder Till Pape. Der Ex-Ulmer hat sich fast unbemerkt zu einem der Konstantesten im Kirchheimer Team entwickelt: bester Dreier-Schütze, bester Rebounder. Wenn doch mal einer einen rabenschwarzen Tag erwischt, „dann ist das leichter zu verschmerzen“, sagt Geschäftsführer Chris Schmidt, den im Moment nur eines schmerzt: dass Mannschaft und Publikum die Symbiose verbaut bleibt.
Wer nach Gründen sucht für den Erfolg, der kommt auch am Trainer nicht vorbei. Igor Perovic hat bei Neuverpflichtungen wie Miksic und Mahoney nicht nur ein sicheres Gespür bewiesen, seine Art zu coachen ist in Kirchheim eine neue Erfahrung. Die Ruhe und Besonnenheit des 46-jährigen Serben überträgt sich in kritischen Phasen auf die Mannschaft und schafft Vertrauen. Dass ihm an der Linie selten Fehler unterlaufen, ist das eine. Dass er zu ihnen steht, fast genauso wichtig. So wie am Samstag in Jena, als er Miksic und Williams im zweiten Viertel zu lange auf der Bank parkte und die Knights nach deutlicher Führung prompt in Rückstand gerieten. Perovic ist einer, zu dem man als Spieler aufschaut: Klar in der Sprache, konsequent in der Entscheidung und frei von Allüren. Einer, der sich in jeder Phase einer Begegnung im Griff hat, auch wenn es tief in ihm brodelt. „Wie es innendrin aussieht, geht während des Spiels keinen was an“, sagt er. „Kein Spieler will einen Trainer, der draußen den Hampelmann macht.“