Der Redebedarf ist groß: Die Verantwortlichen des Fußballbezirks Neckar/Fils reagieren auf die steigende Zahl an Gewaltfällen und den zunehmenden Rückgang an Schiedsrichtern und bitten an den runden Tisch. Am heutigen Donnerstag wollen Funktionäre aller Bezirksorgane mit den Vereinsvertretern ab 19.30 Uhr bei der TG Kirchheim erörtern, wie der Negativtrend in beiden Fällen durchbrochen werden kann.
In Sachen Schiedsrichterzahlen drängt dabei längst die Zeit. „Es ist fünf nach zwölf“, wählt Steffen Müller als Obmann der Gruppe Nürtingen drastische Worte für den Rückgang der Referees von rund 180 vor zehn Jahren auf aktuell 120, der seiner Meinung nach massive Auswirkungen auf den Spielbetrieb haben wird. „In Zukunft werden wir nicht mehr alle Spiele mit Schiedsrichtern besetzen können“, orakelt Müller, „dann drohen Spielausfälle.“
Dieses Horrorszenario malt der Herr der Unparteiischen im Teilkreis Nürtingen/Kirchheim nicht zum ersten Mal an die Wand. Seit Müller im vergangenen Jahr den Obmannposten übernommen hat, warnt der 37-Jährige immer wieder vor den Folgen des Schiri-Schwunds - bislang mit wenig Erfolg: Der jüngste Neulingslehrgang stand mangels Interesse nten lange auf der Kippe. Die Zahl der Neueinsteiger wird die Zahl derer, die am Saisonende aufhören, gerade mal so decken. Sich vor diesem Hintergrund mit allen Betroffenen an einen Tisch zu setzen, hält Müller darum für eine gute Idee: „Wenn wir uns austauschen und uns gegenseitig sensibilisieren, können wir im Dialog bestimmt etwas erarbeiten, das uns weiter bringt.“
Die Frage lautet bloß, was? Für Peter Martsch, Abteilungsleiter des TSV Jesingen und selbst langjähriger Schiedsrichter, wird die Problematik zu sehr auf die Vereine und Schiedsrichtergruppen abgewälzt. „Der finanzielle Anreiz für Schiedsrichter ist zu gering, da müsste dringend nachgebessert werden. Hier sind die Verbände mehr gefordert.“ Die Aufwandsentschädigung in den Kreisligen A und B liegt bei 25 Euro pro Spiel plus Fahrtkosten, in der Bezirksliga sind es 30 Euro.
Gleichzeitig müssten nach Martschs Meinung auch die Strafen erhöht werden, wenn Vereine zu wenig Schiedsrichter stellen. Dass dies funktionieren kann, zeigt ein Beispiel aus dem Handball, der unter einem ähnlich drastischen Mangel an Unparteiischen leidet. Seit der hessische Verband die Strafe für jeden fehlenden Schiedsrichter bei 300 Euro beginnend pro Saison verdoppelt hat und mit Punktabzügen droht, erfüllen die Vereine die Sollzahlen.
Härtere Sanktionen bei Gewalt?
Ob höhere Strafen auch das Problem der steigenden Gewalt auf und neben den Plätzen lösen können, ist längst über die Bezirksgrenzen hinaus die Frage. Die Tübinger Kriminologin Thaya Vester, die zum Thema Gewaltphänomene im Amateurfußball promoviert hat, glaubt, dass härtere Sanktionen einzelne Gewalttaten zwar nicht verhindern, aber langfristig ein Umdenken bewirken können. „Wenn einer zuschlagen will, dann schafft er das“, hat die Wissenschaftlerin bereits vor Jahren erkannt, „man sollte allerdings alles daransetzen, dass solch eine Situation dann nicht weiter eskaliert.“
Gefordert seien in diesem Zusammenhang neutrale Dritte. „Allerdings gibt es viel zu wenige, die bereit sind, solche Ordnerdienste zu übernehmen und sich vor allem auch dafür ausbilden zu lassen“, so Vester, „sowohl die Vereine als auch der Verband müssten sich verstärkt darum kümmern, aber das kostet viel Energie.“
Ob und in welchem Maße die Vereine vor Ort bereit sind, diese aufzubringen, wird sich frühestens heute Abend zeigen, wenn der Bezirksvorsitzende Rainer Veit nach Kirchheim bittet. „Wir müssen gemeinsam Lösungen finden“, nimmt er alle Beteiligten in die Pflicht.