Experten sind sich einig: Es sieht nicht gut aus für den deutschen Fußball. Rund zweieinhalb Jahre nach dem blamablen Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft befindet sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) noch immer in der Selbstfindungsphase. Länderspiele verkommen nach dem Empfinden vieler zunehmend zur Farce und erreichen längst nicht mehr die Einschaltquoten wie früher. Aber auch in der Bundesliga drohen deutsche Nachwuchsspieler den Anschluss zu verlieren, da nur noch wenige Talente den Sprung in den Profikader schaffen.
Womöglich hatten die Verantwortlichen im DFB aber schon eine Vorahnung: Bereits im Februar 2018 war eine Arbeitsgruppe gegründet worden, die die Talentförderung von Grund auf umkrempeln soll. Und das „Projekt Zukunft“ hat es in sich: Die Reform sieht vor, das Leistungsprinzip aufzuweichen, die Liga-Strukturen abzuschaffen sowie die individuelle Förderung zu stärken.
Mittendrin, statt nur dabei: Der Weilheimer Uwe Fechter (60), der seit sieben Jahren Nachwuchstrainer am DFB-Stützpunkt in Ruit ist und das neue Leitbild stark befürwortet: „Dem deutschen Fußball ist die Individualität verloren gegangen. Vor allem der Typus Straßenkicker ist gefragt. Von dieser Sorte brauchen wir wieder mehr.“
Künftig soll also der Ausbildungscharakter gegenüber dem Wettbewerb im Vordergrund stehen. „Wenn ich sehe, dass die Bolzplätze der Region selbst bei bes- tem Wetter bis auf vereinzelte Ausnahmen menschenleer sind, frage ich mich schon, wie das sein kann“, sagt Fechter, der vor seiner Zeit am DFB-Stützpunkt als Jugendtrainer des VfL Kirchheim und SSV Ulm 1846 aktiv war.
Um den Effekt des Straßenfußballs mit vielen Ballkontakten, Dribblings und instinktivem Handeln nicht mehr künstlich im Training erzeugen zu müssen, sehen die Reformpläne bei den jüngeren Jahrgängen von der U6 bis zur U11 eine „flexible Spielrunde“ ohne Tabelle vor. Die Spieler, so heißt es im Konzept, sollen „mehr Ballaktionen haben“ sowie „ausprobieren und etwas riskieren können“. Angedacht sind zudem situationsbedingte Zusatzregeln, die allerdings noch nicht final festgelegt wurden.
Eine Option für die Jüngsten wäre beispielsweise: Auf einem kleinen Spielfeld, 25 mal 20 Meter, treten die Teams im Drei gegen Drei mit zwei Rotationsspielern gegeneinander an. Beide Mannschaften verteidigen jeweils zwei Mini-Tore und versuchen selbst innerhalb einer abgesteckten „Schusszone“ einen Treffer zu erzielen. Fällt ein Tor, wird nach festgelegter Reihenfolge ein Rotationsspieler eingewechselt, um jedem Nachwuchskicker eine gewisse Einsatzzeit zu garantieren.
Die Trainer sollen in den jüngeren Altersklassen künftig eher als Organisator und Spielleiter agieren und dadurch indirekt den fehlenden Schiedsrichter ersetzen. Zurückhaltung ist zudem bei den Eltern gefragt. Diese müssen fortan einen 15-Meter-Abstand zum Spielfeldrand einhalten. Für April ist, je nach Pandemielage, eine erste Pilotphase geplant, nach einer Übergangssaison könnte das neue Modell dann frühestens zur Saison 2022/23 greifen.
Erziehung zur Selbstreflexion
Das Ziel: Talente sollen auf diese Weise ihr Potenzial ohne Ergebnis- und Trainerdruck entfalten können. Im Übungsbetrieb unter der Woche wird die Leistung des Einzelnen aufgearbeitet. „Wir wollen die Spieler schon früh zur Selbstreflexion erziehen, dazu gehört auch ein intensiver Austausch mit dem Trainer“, empfiehlt Uwe Fechter, „im Optimalfall begleiten die Trainer ihre Spieler in Kleingruppen dann auch über längere Zeit und sind als Ansprechpartner für sie da.“
Ziel ist es, spezifischer auf die Stärken und Schwächen eines jeden Talents einzugehen. „Die Kids sind trotz des gleichen Alters teilweise auf völlig unterschiedlichen Entwicklungsstufen was den Körper oder die Persönlichkeit betrifft. Deshalb müssen wir jeden individuell betrachten, um die bestmögliche Förderung zu erreichen“, betont Fechter.
Mehr Informationen zum „Projekt Zukunft“ gibt es online unter www.dfb.de