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Kicken wie bei Arsenal London

Fußball Die Thematik Kunstrasen beschäftigt aufgrund des möglichen Mikroplastik-Verbots zurzeit viele Vereine. Der TSV Notzingen geht diesem Problem jetzt vorsorglich mit der „Königslösung“ aus dem Weg. Von Max Pradler

Im Notzinger Eichert macht der alte Kunstrasen Platz für ein modernes Hybridsystem. Ende Juli soll der Umbau fertig sein. Foto:
Im Notzinger Eichert macht der alte Kunstrasen Platz für ein modernes Hybridsystem. Ende Juli soll der Umbau fertig sein. Foto: Carsten Riedl

Die monatelange Corona-Pause bringt zurzeit viele Fußballvereine in Versuchung: Um die Zeit des sportlichen Stillstands sinnvoll zu nutzen, spielen viele Klubs mit dem Gedanken, den Bau beziehungsweise die Planungen für einen neuen Kunstrasenplatz zeitlich vorzuziehen. Zum einen sind künstlichen Fußballfelder deutlich pflegeleichter und wetterbeständiger als das „Original“, zum anderen sind sie mittlerweile auch qualitativ so beständig, dass es sich derzeit selbst für Besitzer der ers­ten Kunstrasen-Generation lohnt, zumindest eine Komplettsanierung in Betracht zu ziehen.

Mitten im Kunstrasen-Projekt befindet sich aktuell auch B-Ligist TSV Notzingen. Nachdem das 13 Jahre alte Spielfeld im Eichert den vergangenen Sommer nur schwer gebeutelt überlebte, hat der Gemeinderat Anfang des Jahres dem lang ersehnten Umbau zugestimmt. „Da beim Granulat auf unserem alten Platz ein falsches Material verwendet worden war, kam es bei Hitze zu einer chemischen Reaktion. Das Gummi verklebte zu riesigen Klumpen und haftete wie Kaugummi an den Schuhen“, erklärt TSVN-Abteilungsleiter Michael Panknin. An einen regelmäßigen Spielbetrieb war seitdem aufgrund der großen Verletzungsgefahr nicht mehr zu denken.

Jetzt allerdings dürfen sich die Kicker des TSV Notzingen auf ein wahres Schmuckstück freuen: einen Hybridrasen. Dies ist ein durch Kunststofffasern verstärkter Naturrasenbelag, der im Vergleich belastbarer ist und schneller regeneriert. Im Amateurfußball sind Plätze dieser Art aufgrund ihrer teuren Anschaffung eine echte Seltenheit, bei Profi-Klubs hingegen hat sich das hochmoderne Hybridsystem bereits seit einigen Jahren etabliert. „So wie der Hersteller uns gesagt hat, bekommen wir den gleichen Rasen, wie ihn auch Arsenal London im Emirates Stadium hat“, freut sich Panknin. Wenn weiterhin alles nach Plan läuft, wird der neue „grüne Teppich“ bereits Ende Juli einsatzbereit sein.

EU-Kommission prüft Thematik

Doch Qualität hat ihren Preis: Das finanzielle Gesamtvolumen des neuen Notzinger Platzes inklusive LED-Flutlicht beträgt rund 1,1 Millionen Euro. „Aber das war‘s der Gemeinde zum Glück wert, wofür wir auch sehr dankbar sind. Nach den schlechten Erfahrungen mit der Granulatfüllung wollten wir nicht den gleichen Fehler noch mal machen“, betont Michael Panknin, „außerdem gehen wir so auch vorzeitig der Problematik mit dem Mikroplastik aus dem Weg.“

Hintergrund: Die Europäische Union prüft seit einigen Monaten, ob Mikroplastik, das häufig als Füllmaterial für Kunstrasenplätze benutzt wird, verboten werden soll. Das sogenannte Granulat - meist kleine Stückchen von Altreifen - sorgt dafür, dass der Platz gut federt. Die Fußballer rutschen weniger, wodurch die Verletzungsgefahr sinkt.

Naturschützer üben aber vor allem deshalb Kritik, weil das Granulat nicht auf dem Platz bleibt, sondern über kurz oder lang in die Umwelt gelangt. Dies passiert, wenn Spieler den Platz verlassen und die an der Sohle haftenden Mikroplastikteilchen verteilen. Oder aber in den Wintermonaten, wenn das Granulat beim Schneeschippen mit abgeschürft und an anderer Stelle entsorgt wird. Selbst starke Regenfälle oder Wind können dafür sorgen, dass die drei bis fünf Millimeter großen Plastikstückchen vom Feld gespült beziehungsweise geweht werden.

Die Crux: Aufgrund dieser unvermeidbaren Verschleißerscheinungen im alltäglichen Gebrauch muss das Granulat auf den Plätzen regelmäßig aufgefüllt werden. Somit gelangt immer mehr Mikroplastik über den Boden, das Grundwasser und die Kanalisation in die Nahrungskette.

Der tatsächliche Einfluss auf die Umwelt und in welchem Ausmaß Kunstrasenplätze wirklich schädlich sind, ist aus wissenschaftlicher Sicht jedoch unklar. Das Fraunhofer-Institut veröffentliche Ende 2018 eine Studie, in der die Sportstätten als eine „der größten Mikroplastiksünden Deutschlands“ bezeichnet werden. Als es daraufhin allerdings jede Menge Kritik hagelte - unter anderem deshalb, weil mit einer vermeintlich viel zu hohen Nachfüllmenge an Granulat kalkuliert wurde -, relativierte das Fraunhofer-Ins­titut sein Ergebnis.

Aufmerksam auf die Thematik wurden dann allerdings auch die EU-Behörden, die folglich die Europäische Chemikalienbehörde (ECHA) mit Sitz in Helsinki beauftragt haben, ein Verbot von Kunststoffgranulat auf Kunstrasen ab 2021 zu überprüfen. Zwar hat die EU-Kommission daraufhin mitgeteilt, dass nicht an einem grundsätzlichen Verbot von Kunstrasenplätzen gearbeitet werde, aber ob oder wann das Granulat, das momentan auf circa 6 000 Plätzen in Deutschland zum Einsatz kommt, nicht mehr benutzt werden darf, blieb offen (siehe Info-Kasten).

In Panik müssen Vereine derzeit jedenfalls nicht verfallen, schließlich stehen einige Lösungsansätze schon parat. Zum einen gibt es Vorrichtungen, mit denen Schuhe bei Verlassen der Spielfelder von Mikroplastik gereinigt werden können, oder Einrichtungen rund um die Spielfelder, die verhindern, dass Mikroplastik über Regenwasser in die Umwelt gelangt. Zum anderen ließen sich künftig als Füllstoff auch Kork, Quarzsand oder biologisch abbaubare Granulate einsetzen. Auch die Königslösung Hybridrasen, die nun der TSV Notzingen erhält, ist eine Lösung - wenn auch eine kostspieligere.

Granulat-Verbot ist noch in weiter Ferne

Eigentlich wollte die Europäische Chemikalienbehörde (ECHA) Anfang des Jahres das Ergebnis ihrer Untersuchungen zum Granulatgebrauch auf Kunstrasenplätzen bekanntgeben und der EU-Kommission einen Entscheidungsvorschlag vorlegen. Bisher ist das jedoch nicht geschehen. Gut möglich, dass sich der ganze Prozess aufgrund der Coronakrise auch noch um einige Monate hinauszögert.

Und selbst dann wäre ein Beschluss noch immer in weiter Ferne: Sollte das Verbot nämlich tatsächlich in Kraft treten, müssten die ECHA-Vorschläge zuerst von der EU-Kommission aufgegriffen und in Gesetzesvorschläge umgesetzt werden. Danach läge es noch am EU-Parlament und den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten, sich auf einen gemeinsamen Gesetzestext zu einigen. Im Fokus stehen dabei meist verhältnismäßige Maßnahmen, zum Beispiel, dass ausschließlich neue Kunstrasenflächen vom Verbot betroffen wären und ältere Plätze Bestandsgarantie genießen. max