Handball

Im Zweifel guter Hoffnung

Handball-WM Vor dem Auftaktspiel der deutschen Mannschaft heute Abend gegen Korea überwiegen im lokalen Expertenkreis bei aller Vorfreude Skepsis und Kritik am Trainer. Von Bernd Köble

Momente, die man nicht so schnell vergisst: Handballfans beim Public Viewing am 4. Februar 2007 in der Kirchheimer Walter-Jacob-
Momente, die man nicht so schnell vergisst: Handballfans beim Public Viewing am 4. Februar 2007 in der Kirchheimer Walter-Jacob-Halle. Das Finale gegen Polen in der Kölnarena beschließt eine WM, die als „Wintermärchen“ in die Geschichtsbücher eingeht. Deutschland ist nach einem 29:24 zum dritten Mal Weltmeister. Foto: Jean-Luc Jacques

Christian Prokop muss liefern. Sonst könnte es in Kürze eng für ihn werden. Selten ist ein Bundestrainer mit weniger Kredit in eine Handball-WM gestartet als der 40-Jährige aus dem Osten. Nach der misslungenen EM im vergangenen Jahr hat er sich bei seiner zweiten und wohl letzten Chance mit umstrittenen Personalpolitik erneut zur Zielscheibe für Kritiker gemacht. Was also kann man von der Heim-WM, die heute um 18.15 Uhr mit dem Auftaktspiel gegen Korea in Berlin beginnt, erwarten? Fünf Vertreter des lokalen Handballs haben dazu eine klare Meinung.

Jürgen Lehmann steht nicht nur seit vielen Jahren als Werbepartner mit dem DHB in engem Kontakt, er kennt die Mannschaft, das Umfeld und hat etliche Turniere am Spielfeldrand miterlebt. Dass er diesmal den Fernsehsessel in Oberlenningen bei „einer Flasche guten Roten“ der Atmosphäre in der Halle vorzieht, liegt nicht ausschließlich, aber auch an seinen gedämpften Erwartungen. Die beiden letzten Tests gegen Tschechien und Argentinien, die er sich in Hannover und Kiel angeschaut hat, haben ihn im Urteil bestärkt: „Ich wäre überrascht, wenn wir tatsächlich das Halbfinale erreichten“, sagt er und nennt einen einfachen Grund: „Der Mannschaft fehlt auf den wesentlichen Positionen die Qualität, um es mit der Weltspitze aufnehmen zu können.“ Die Runde der letzten Vier ist immerhin erklärtes Ziel von Mannschaft und Trainer. Eine schwere Hypothek, ist Lehmann überzeugt, denn „ohne den Einzug ins Halbfinale ist das Modell Prokop gescheitert.“ Zu hoch sei der Druck, den sich der Bundestrainer durch fragwürdige Entscheidungen selbst geschaffen habe. Dazu zählt aus Lehmanns Sicht vor allem die Nominierung des international unerfahrenen Leipzigers Franz Semper. Die Hoffnung will „Leo“ trotzdem nicht aufgeben: „Wir haben eine geile Sportart“, sagt er. „Der Nachwuchs bräuchte diesen Erfolg so dringend.“

In der Personalie Semper steht auch Fabian Gutbrod für klare Kante. „Er ist zweifellos ein guter Spieler“, räumt er ein, „aber Kai Häfner wäre die deutlich bessere Wahl gewesen.“ Gutbrod, der Zwei-Meter-Mann aus Owen, der sein Geld beim Bundesliga-Achten, dem Bergischen HC, verdient, sagt das nicht nur, weil er und Häfner nicht erst seit dem WM-Titel mit den Junioren vor zehn Jahren dicke Kumpels sind. „Kai hat internationale Erfahrung und war nach seiner Verletzung zuletzt auch in starker Form.“ Überraschend unverblümt ist Gutbrods Kritik am Bundestrainer: „Ich verstehe seine Spielidee nicht und nach welchen Kriterien letztlich nominiert wurde.“ Aufs Schwarzmalen will sich der inzwischen 30-jährige Rückraum-Shooter dennoch nicht beschränken, dafür ist er zu sehr Sportsmann. Viel werde wohl davon abhängen, ob es gelingt, das Triebwerk zu zünden, das Mannschaft und Fans mitreißt. „Dann ist alles möglich.“ Ob er sich das eine oder andere Spiel in der Halle anschaut? Das hänge vom eigenen Trainingsplan ab, sagt Fabian Gutbrod. „Mal schauen, Köln ist von mir in Solingen aus ja gleich um die Ecke.“

Wer im Lenninger Tal beheimatet ist, ist klar im Nachteil. Bei der Frauen-Weltmeisterschaft vor gut einem Jahr ist Nicole Schmid mit der kompletten Mannschaft nach Bietigheim gereist, um WM-Atmosphäre einzufangen. Diesmal sind es nur ein paar wenige, die Tickets für Berlin oder München in der Tasche haben. Dass der Südwesten abgehängt ist, sei schade aber nachvollziehbar, angesichts des Turnierpartners, der Dänemark heißt. Die Trainerin der SG Lenningen vertraut trotzdem auf den Heim-Vorteil, der „die letzten Prozente an Energie freisetzt“. Wenn es zu Beginn schlecht läuft, ist sie überzeugt, werde es für Prokop allerdings schnell ungemütlich werden. „Der Druck ist deutlich höher als bei der EM vor zwei Jahren“, sagt Schmid. „Man spielt vor eigenem Publikum und mit einer Mannschaft, die nach Jahren eigentlich funktionieren sollte.“

Von einem guten Start hängt alles ab, ist auch Jona Schoch überzeugt. Der Kirchheimer in Diensten des Zweitliga-Tabellenführers HBW Balingen/Weilstetten will sich seine Vorfreude durch die vielen kritischen Stimmen in den vergangenen Tagen jedenfalls nicht vermiesen lassen. „Eine WM im eigenen Land ist doch eine Riesensache“, sagt er. „Ich kann es jedenfalls kaum erwarten.“ Überrascht, verrät er, sei er nur beim Blick auf den eigenen Trainingsplan gewesen. Start der Rückrunden-Vorbereitung, steht dort: heute, Donnerstag, 17.15 Uhr. „Mal sehen, wie das läuft. Zum Glück haben wir einen Fernseher in der Umkleide.“ Schochs positive Stimmung kommt nicht von ungefähr: Beim 24-Jährigen läuft‘s zurzeit. Seit Oktober hat er seinen Bachelor in Luft- und Raumfahrttechnik in der Tasche. Im Moment arbeitet er an der Stuttgarter Uni nebenbei an seinem Master in Fahrzeug- und Motorentechnik. Und beim HBW? Dort hat er seinen Vertrag inzwischen bis 2020 verlängert und damit gute Chancen, in der neuen Saison erstklassig zu spielen. Was will man mehr?

Wolfgang Stoll, Vorsitzender des Handballbezirks Esslingen-Teck ist da weniger euphorisch. Er hat vor dem WM-Start die Schwachstelle im deutschen Team klar verortet: „Im Rückraum fehlt die Qualität, die Mannschaften wie Frankreich oder Spanien haben“, sagt er. Ein Spieler wie der verletzte Julius Kühn sei im Moment nicht zu ersetzen. „Vermutlich geht es nur über Tempo mit einer sicheren Abwehr und zwei starken Torhütern“, meint Stoll. „Aus dem Positionsspiel heraus dürfte es gegen Top-Mannschaften schwer werden.“ Apropos Torhüter: Dass Christian Prokop sich auf keine Startformation festlegen wolle, sich bei den Torhütern aber „ohne Not“ klar für Wolff als Nummer eins ausspricht, sei „ziemlich unclever“. Stoll: „Ich weiß nicht, vielleicht fehlt ihm da noch etwas die nötige Erfahrung.“