Handball
Wie weit bis zur Grenze?

Handball Nächster Spieltag – nächste Absage: Die Verbandsliga geht ohne den VfL Kirchheim in die nächste Runde. Immer mehr Mannschaften scheuen den Corona-Hotspot im Kreis Esslingen. Von Bernd Köble

Er hat lange mit sich gerungen, wie er sagt. Schließlich ist er Handballer durch und durch. Als Abteilungschef im VfL Kirchheim, als Vater dreier Söhne, die im Verein spielen, als langjähriger Aktiver. Inzwischen ist er überzeugt, dass das, was im Moment läuft, nicht richtig ist. Dass der Verband am Spielbetrieb festhält, obwohl die Infektionszahlen ungebremst steigen, dass die Verantwortung auf die Vereine abgewälzt wird. „Es kann nicht sein, dass wir einerseits Schulen schließen und gleichzeitig am Wochenende Freizeitsport mit Vollkontakt betreiben,“ sagt Uwe Hamann. Sport sei die schönste Nebensache der Welt, „aber eben doch nur Nebensache.“ Überraschend deutliche Worte in einer Zeit, in der es an klaren Positionen mangelt.

So wie Hamann denken im Handball inzwischen viele. Auch im TV Altenstadt, jenem Gegner, auf den der VfL am Samstag in der Walter-Jacob-Halle in seinem ersten Spiel in der Verbandsliga getroffen wäre, nachdem die Auftaktpartie in Gerhausen am vergangenen Wochenende wegen eines Wasserschadens in der dortigen Halle verlegt worden war. Das Team aus Altenstadt hat das Spiel bereits am Mittwochabend abgesagt, weil ihm das Risiko, in Kirchheim zu spielen, zu hoch ist. Der TV Gerhausen hätte am Wochenende zwar kein Problem mit Wasser, das von der Decke tropft, aufs Gastspiel beim Team Esslingen verzichtet der Klub aus dem Blaubeurener Stadtteil dennoch.

Das Schreiben der Vereinsverantwortlichen an die Esslinger Gastgeber ist eine scharfe Spitze in Richtung HVW. Obwohl die Zahl der Neuinfektionen im Kreis Esslingen seit vergangener Woche deutlich über dem Grenzwert lägen, lasse der Verband den Spielbetrieb entgegen aller Erwartungen einfach weiterlaufen und stelle es den Mannschaften frei, ob sie gegen Gegner aus Risikogebieten antreten wollen. „Für uns ist das nicht nachvollziehbar,“ heißt es in der Stellungnahme des TVG.

In den Vereinen wächst die Skepsis. 36 Begegnungen quer durch alle Spiel- und Altersklassen wurden allein im Bezirk Esslingen/Teck am ersten Spieltag abgesagt. Auf Verbandsebene fielen 18 Paarungen Corona zum Opfer. Macht unterm Strich 54 Handballspiele, die irgendwann nachgeholt werden müssen. An diesem Wochenende droht bereits die nächste Absageflut.

Freie Hand im Umgang mit der Pandemie treibt nicht nur im Spielplan seltsame Blüten. Auch bei der Frage, ob Zuschauer in die Hallen dürfen, hat jeder Verein seine eigene Sicht. Zwar sind sich Kreisverwaltung und Kommunen einig, dass Zuschauer draußen bleiben sollten. Doch zu einem klaren Publikumsverbot hat sich bisher keine Seite durchringen können. Es blieb bei einer Empfehlung, die am Wochenende dazu führte, dass einerseits selbst Drittligist TV Plochingen auf Ticketeinnahmen verzichtete, in Deizisau und Ostfildern dagegen Handball vor Zuschauern stattfand.

In der HVW-Geschäftsstelle in Stuttgart sieht man sich dagegen zu unrecht am Pranger. „Wir müssen im Verband nun mal auf alle schauen,“ sagt Sprecher Thomas Dieterich. „Württemberg besteht nicht nur aus Risikogebieten.“ Solange von der Politik kein generelles Sportverbot verhängt werde, versuche man flexibel auf die Lage zu reagieren. Mit der Entscheidung am Dienstag sei man besorgten Vereinen entgegengekommen. „Jede Mannschaft, die sich mit der Situation nicht wohlfühlt, sollte damit die Möglichkeit bekommen, auf Spiele zu verzichten ohne Konsequenzen fürchten zu müssen,“ sagt Dieterich.

Es ist wohl wahr: Der HVW ist nicht nur der Kreis Esslingen. Doch der Handballbezirk Esslingen/Teck, der den Großteil seiner Mannschaften aus diesem Landkreis rekrutiert, ist zwar der flächenmäßig kleinste, aber der Bezirk mit der größten Anzahl an Mannschaften in ganz Württemberg. Sieben von zwölf Verbandsligisten bei den Männern stammen von hier. Gerät zwischen Alb, Neckartal und Fildern der Spielplan ins Wanken, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem gar nichts mehr geht. Das muss auch Dieterich einräumen. „Das Ganze ergibt nur so lange einen Sinn, wie wir die Termine unterbringen,“ sagt er. Den größten Druck verspürt der Verband im Jugendspielbetrieb. Dort, wo im Moment die meisten Spiele ausfallen und wo spätestens Mitte März die Saison zu Ende sein muss. In den kommenden Wochen wird sich wohl nicht nur im Handball vieles entscheiden. „Ein Patentrezept haben wir alle nicht,“ sagt Dieterich.