Lokalsport

„30 bis 40 Zentimeter Schneehöhe waren normal“

Einheimische Ski-Veteranen im nostalgischen Rückblick auf längst vergangene Winter

Waren die Winter in den Sechziger-, Siebziger- und Achtziger-Jahren länger und die Schneehöhen an den Hängen der Schwäbischen Alb größer? In der Erinnerung so manches Ski-Routiniers waren sie das.

„30 bis 40 Zentimeter Schneehöhe waren normal“

Kirchheim. Solche Zeiten kommen nie mehr. Wie jene, als die Kirchheimerin Jutta Dworak mit zwei frisch gewachsten Holzbrettern und viel Leidenschaft auf prächtigem Pulverschnee in gespurten Loipen irgendwo auf der Schwäbischen Alb dem Bezirksmeistertitel hinterher jagte und manches Mal reüssierte. In den 50er- und 60er-Jahren war die heute 81-Jährige eine erfolgshungrige Skilangläuferin des VfL Kirchheim – eine von fünf, denn die Sparte nordisch der VfL-Skiabteilung war, ganz zeitgemäß, männerdominiert. Beim lokalen Sommermannschaftslauf („Somala“), einem Staffelwettbewerb im Herbst exklusiv für Wintersportler, hatte das ehrgeizige Läuferinnen-Quintett die konditionellen Grundlagen gelegt, im Januar fuhren sie die Ernte fürs fleißige Trainieren ein. Mit jedem Erfolg in der Langlaufspur wuchs das Zusammengehörigkeitsgefühl der fünf Mädels, die zahlenmäßig klar im Abseits standen. „Ja, wir waren eine verschworene Truppe“, rekapituliert Jutta Dworak. Schön war die Zeit.

An die Boomjahre des VfL-Langlaufsports in den Sechzigern, Siebzigern und Achtziger erinnert sich die rüstige Dame gerne. Die waren schön, aufregend – und buchstäblich einmalig: Heutzutage existiert das VfL-Ressort nordisch praktisch nicht mehr. Der schleichende Tod, den die Unterabteilung in vielen Jahren der Schnee- und Veranstaltungsarmut befiel, führte dazu, dass „wir heutzutage keinerlei aktive Skilangläufer mehr in unseren Reihen haben“, wie Abteilungsleiter Klaus Buck berichtet. Es gibt nur noch einige passive VfL-Mitglieder, die nachweislich vom nordischen Skisport angehaucht sind, „und die sind entweder ältere Menschen oder von Kirchheim weggezogen.“

Es war einmal – auch Willi Schmid (70), einst treibende Kraft der Owener Skiabteilung, hat Glücksmomente im Kopf, denkt er an die guten alten Ski(frei)zeiten zurück. „Ich erinnere mich noch daran, wie der TSV gleich zwei Owener Nachwuchsmannschaften mit Betreuern zu den alpinen Bezirksmeisterschaften nach Zöblen im Tannheimer Tal schickte.“ Neun Vereinsmeraden außer ihm, Läufer wie Betreuer, waren frühmorgens im vollbepackten VW-Bus gen Alpen aufgebrochen – ein 200-Kilometer-Abenteuerausflug auf fast 1 100 Meter Höhe, der unvergessen blieb. In den Folgejahren erlebte er zahlreiche Neuauflagen. Es war die Zeit, als die Owener Rennaktivitäten noch auf großer Flamme kochten – auch an den Hängen der Schwäbischen Alb. „Und was ist heute?“, fragt Schmid Jahrzehnte später.

Die Antwort gibt Joachim Barner. „Wir setzen heute andere Schwerpunkte“, sagt der in der Owener Skiabteilung für Skischule, Lehrwesen und Presse verantwortliche Mann. Weiter: „Der Rennsport hat in unserer Region an Bedeutung verloren.“ Was auch daran liegt, dass es den Teckabfahrtslauf nicht mehr gibt. Jener war genau wie der Neidlinger Reußensteinpokal immer ein Zuschauermag­net gewesen, doch 1997 kam für ihn nach 60 Jahren das Aus. „Verschärfte Sicherheitsauflagen der Ämter, zu wenig Helfer bei der Organisation, ausbleibende Hilfe der Feuerwehr beim Präparieren der Piste und letztlich der Schneemangel“, nennt Buck als die vier Hauptursachen fürs Ableben des Veranstaltungs-Klassikers.

Waren die Winter des letzten Jahrhunderts besser, weil schneeträchtiger? Dies ist die Frage, die sich auch Ex-Skilangläufer Heinz Stephan (74) stellt. Der Viertplatzierte der deutschen Jugendmeisterschaft von 1952, Wasalauf-Starter und und Teilnehmer des berüchtigten Ruhpoldinger Rauschberg-Laufes, beantwortet die vielgestellte S-Frage mit einem Ja. „Wenn ich mich recht erinnere, waren 30 bis 40 Zentimeter Schneehöhe in den Dezembern der Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahre auf der Alb normal. Skiveranstaltungen sind so schnell nicht abgesagt worden.“ Tatsächlich schien die Zahl der ehemals ausgetragenen Bezirks(test)rennen, Vereinsmeisterschaften oder Nachttorläufe im Vergleich zu heute nahezu inflationär.

Auch Jutta Dworak und Willi Schmid befällt Nostalgie, denken sie an längst vergangene Ski-Winter auf der Schwäbischen Alb zurück. Es seien Winter gewesen, die ihren Namen verdienten, sagen sie. Das taten die jüngsten Winter zwar auch, „aber der Unterschied ist, dass die Winter früher länger dauerten. Damals schneite es manchmal schon Anfang November und im März lag immer noch Schnee“, wie Willi Schmid glaubt. Das sei, zusammen mit noch anderen Gründen, die Hauptursache dafür, dass es heutzutage weniger lokale Ski-Veranstaltungen gibt.

Weil der Wettkampfsport auf Skiern in unseren Breiten an Veranstaltungen und Bedeutung verlor, hat sich auch der ehemalige SSV-Trainer Heinz Schneeweis Gedanken gemacht. Der 71-jährige Ex-VfL-Fahrer kommt zu diesem Schluss: „Am Schneemangel allein liegt das Veranstaltungs-Sterben nicht. Siehe den Neidlinger Reußensteinpokal. Ich erinnere mich daran, dass jener vor etwa 40 Jahren auch schon abgesagt wurde, und zwar einmal drei Jahre hintereinander.“

Schneeweis sieht die Wurzel allen Übels ganz woanders: in den knappen Budgets mancher Eltern. „Welche Eltern sind heute schon bereit, ihren Kindern für 2 000 Euro eine komplette Ski-Rennausstattung zu bezahlen? Das kann sich doch kaum mehr jemand leisten“, sagt der Mann, der beruflich Sportartikel-Verkäufer war. Nicht nachrückender Vereinsnachwuchs bedeute in letzter Konsequenz weniger Skiveranstaltungen.

Wenig im Skirennsport geht ohne Geld – nichts geht ohne Schnee. Die Hoffnung auf anhaltend sportfreundliche Winter mit vielen Minusgraden und noch mehr Schneefall haben die Schirgler der Region allen Erderwärmungs-Prognosen zum Trotz noch nicht aufgegeben.