Lokalsport

Alles tanzt nach ihrer Pfeife

Fußball Serafina Guidara hat als eine von acht Schiedsrichterinnen der Gruppe Nürtingen in den vergangenen drei Jahren so viele Spiele wie sonst niemand geleitet. Von Reimund Elbe

Rekordverdächtig: Serafina Guidara hat seit 2015 insgesamt 224 Fußballspiele gepfiffen. Foto: Markus Brändli
Rekordverdächtig: Serafina Guidara hat seit 2015 insgesamt 224 Fußballspiele gepfiffen. Foto: Markus Brändli

Es ist kühl und trüb auf dem Kunstrasenplatz am Nürtinger Hölderlin-Gymnasium. Fußball, Testspiel, Oberensingen gegen Echterdingen, Bezirksliga gegen Landesliga. Es geht zur Sache in der heißen Phase der Vorbereitungszeit. Mittendrin: Serafina Guidara, Senkrechtstarterin der hiesigen Schiedsrichterzunft. Wieder einmal lässt die 26-Jährige mehr als zwei Dutzend Männer 90 Minuten lang nach ihrer Pfeife tanzen. „Ist wohl schon mein zehnter Einsatz im Jahr 2018“, rechnet die gebürtige Kirchheimerin vor Spielbeginn schmunzelnd hoch.

Was nach ungewöhnlich vielen Partien in den wenigen Wochen des neuen Jahres klingt, ist für Serafina Guidara absoluter Normalzustand. In den vergangenen drei Jahren war die Immobilienkauffrau der lebende Gegenbeweis zur angeblich fehlenden Begeisterung für die Schiedsrichterei. 224 Einsätze binnen 36 Monaten als Unparteiische sorgten für Sonderapplaus bei der Tagung der Schiedsrichtergruppe Nürtingen vor zwei Wochen. Mehr Spiele leitete oder betreute niemand in der Region.

Dabei wundert sich Serafina Guidara nach eigenen Angaben manchmal selbst, weil sie das Tempo der Geschichte kaum verstehen kann. „Vor etwas mehr als fünf Jahren half ich einer Freundin lediglich aus und leitete regelmäßig in deren Verein Bambini-Spiele“, erinnert sie sich an die Anfänge ihrer Pfeiferei, „im Gegenzug kickte die Freundin in meiner Hobbymannschaft mit.“

Ein Deal mit unabsehbaren Folgen, der Impuls für eine atemberaubende Entwicklung. Im März 2013, Serafina Guidara kickte damals in einem Freizeitteam der TG Kirchheim, für die sie auch heute noch pfeift, absolvierte sie bei Verbandslehrwart Holger Böhm einen Neulingskurs - mit Erfolg. „Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt nie geglaubt, irgendwann Fußball-Schiedsrichterin zu werden“, betont die glühende Anhängerin des italienischen Rekordmeisters Juventus Turin.

Kaum als Unparteiische unterwegs, wurde sie bereits in den Ausschuss der Schiedsrichtergruppe Nürtingen berufen - als Frauenbeauftragte. Nicht nur die Zahl der Einsätze an der Pfeife wuchs beträchtlich, sondern unter ihrer Regie auch die Zahl weiblicher Referees. Aus drei aktiven Schiedsrichterinnen in der Gruppe Nürtingen im Jahr 2014 sind mittlerweile acht geworden. „Der Zuwachs ist allerdings auch ein Verdienst von Bibiana Steinhaus, die allen zeigt, dass auch Frauen in der Männerdomäne erfolgreich agieren können“, sagt Guidara.

Bislang nur zwei Rote Karten verteilt

Mit ihrer verhältnismäßig geringen Körpergröße von unter 1,60 Meter geht sie herrlich unverkrampft um. „Ich bin eben klein, da muss ich auf dem Platz halt mit Charme und mit meinem Mundwerk arbeiten, damit ich respektiert werde“, scherzt sie. Eine Methode, die erfolgreich zu sein scheint: Rote Karten gibt es so gut wie nie, wenn die in Köngen aufgewachsene Guidara pfeift. „Sauer werde ich nur, wenn Männer herumbrüllen und wild mit den Armen vor mit herumwedeln“, berichtet sie. Doch ein strenger Blick oder ein passender Spruch brächten die empörten Buben meist schnell zur Räson. Nur zwei Rote Karten habe sie in ihrer fünfjährigen Laufbahn gezeigt. „Und das waren Notbremsen“, sagt die Rekord-Schiedsrichterin fast schon entschuldigend. Mit ihren Entscheidungen scheint sie offenbar selten falsch zu liegen, der Durchstart bis zu Bezirksliga-Einsätzen ist anders nicht erklärbar. „Landesliga wäre nun ein Traum, aber dafür haben die Leistungen noch nicht ganz gereicht“, betont sie selbstkritisch. Ohnehin sei das Pfeifen in der Bezirksliga wegen der Schnelligkeit eine ganz andere Hausnummer als in den unteren Klassen.

Den Ehrenamts-Job der Frauenbeauftragten in der Schiedsrichtergruppe Nürtingen hat Serafina Guidara vor wenigen Wochen an Hannelore Pink weitergegeben, sie selbst kümmert sich fortan um die Jungschiedsrichter-Betreuung. Im Frauenbereich leitet sie mittlerweile Regionalligapartien und in der U17-Bundesliga agiert sie als Assistentin.

Um 18.07 Uhr pfeift Serafina Guidara das Testspiel zwischen der TSV Oberensingen und dem TV Echterdingen beim Stand von 0:2 ab. „Gut gelaufen“, bilanziert sie zufrieden. Ihrer Linie ist sie trotz zeitweiliger Diskussionen auf dem Platz einmal mehr treu geblieben. Nur eine Gelbe Karte gab‘s wegen eines gestreckten Beins. Zum Schluss folgen Shakehands mit Trainern, Spielern und ein Abklopfen mit ihren Assistenten Lukas Keller und Niklas Knappe. „Die beiden haben es gut gemacht“, findet die Chefin der Jungschiedsrichter. Und die beiden Jungs strahlen über das Lob über beide Backen - sie wissen, dass es von der Rekordschiedsrichterin kommt.

Zahlen zur Schiedsrichterei

185 Schiedsrichterinnen sind aktuell in den 16 Bezirken des württembergischen Fußballverbands (WFV) aktiv an der Pfeife. Bei insgesamt 4987 Unparteiischen entspricht dies einer Quote von 3,7 Prozent.
8 Frauen umfasst dabei die Schiedsrichtergruppe Nürtingen, eine von dreien im Fußballbezirk Neckar/Fils. In den Gruppen Göppingen (zwei) und Esslingen (sieben) sind es weniger. Spitzenreiter unter allen 39 Schiedsrichtergruppen im WFV ist die Sektion Stuttgart mit neun unparteiischen Frauen.
141 Schiedsrichter greifen insgesamt in der Gruppe Nürtingen zur Pfeife. In Esslingen sind es 135, in Göppingen 171.
216 Mannschaften im Spielbetrieb des WFV betreuen die Nürtinger Referees. Davon 78 im Aktiven- und 138 im Juniorenbereich.
9403 Einsätze haben die Mitglieder der Schiedsrichtergruppe Nürtingen zwischen 2015 und 2017 absolviert. Unterteilt wird dabei in Aufträge bei Aktiven und Junioren sowie als Schiedsrichterassistent und Beobachter.