Lokalsport

Das Finale daheim

Stefan Schumacher steigt als Kapitän beim ehemaligen Continental-Team Stuttgart ein

Italien, Dänemark, Polen – Richtig glücklich ist der Radprofi Stefan Schumacher auf seiner fünfjährigen Odyssee durch halb Europa nirgends geworden. Knapp drei Jahre nach seinem aufsehenerregenden Doping-Geständnis startet er als 34-Jähriger einen neuen Versuch: in Stuttgart.

Hat bei seinem Kumpel Julian Rammler in Stuttgart unterschrieben und den Teamsponsor gleich mitgebracht: Nach seiner Zeit bei Ch
Hat bei seinem Kumpel Julian Rammler in Stuttgart unterschrieben und den Teamsponsor gleich mitgebracht: Nach seiner Zeit bei Christina Watches Onfone in Dänemark fährt Stefan Schumacher nun für Christina Jewelry.Foto: Roth

Stuttgart. „It ain‘t over till it‘s over“ – Es ist nicht vorbei, ehe es vorbei ist. Der Songtext stammt eigentlich vom US-Musiker Lenny Kravitz. Dem Hollywood-Remake „Rocky Balboa“ mit einem in die Jahre gekommenen Silvester Stallone in der Hauptrolle, dient er als Werbezeile. Der Film spürt der Frage nach, weshalb sich ein alter Mann für Geld noch einmal verprügeln lässt. Auf der Homepage von Stefan Schumacher steht der Spruch seit Kurzem als Leitmotto einer ganz anderen Geschichte.

Schumacher als alten Mann im Radsport zu bezeichnen, würde ihm nicht gerecht. Mit 34 Jahren geht viel Explosivität verloren, dafür fügen sich Ausdauerfähigkeit und Rennerfahrung zu einem durchaus Erfolg versprechenden Mix. Die Frage, warum sich der wegen Dopings noch vielerorts Geächtete in der Heimat den Kopf noch einmal in den Wind hält, stellt sich trotzdem. Fest steht: Der Mann, der 2008 bei der Tour de France zwei Tage in Gelb fuhr, wird neuer Kapitän des drittklassigen Continental-Rennstalls Team Stuttgart, der künftig Christina Jewelry heißen wird. Für den dänischen Sponsor war Schumacher bereits von 2012 bis 2014 am Start, bevor er eine Klasse höher zum polnischen Team CCC Sprandi Polkowice wechselte.

Er will zeigen, was noch in ihm steckt. Noch ein, zwei gute Jahre. Spaß haben, das eigene Potenzial ausschöpfen, wie er sagt, und in einer Umgebung arbeiten, in der er sich wohl fühlt. Mit Teammanager Julian Rammler ist er seit Jahren befreundet. Der 27-jährige Vaihinger hat ihn mehrfach bei deutschen Meisterschaften betreut. Zuletzt vergangenen Sommer, als Schumacher im Zeitfahren als Dritter aufs Podium fuhr. „Es macht Spaß, mit Julian zu arbeiten“, sagt er.

Das war in Polen zuletzt nicht mehr der Fall. Dort fand er wenig Unterstützung in einem Jahr, das geprägt war von Krankheit und schweren Stürzen. Einmal brach er sich im Zielsprint bei der italienischen Coppa Bernocchi die Schulter, dann zog er sich in Spanien einen komplizierten Handbruch zu, als er bei der Ruta del Sol in einen schlimmen Massensturz verwickelt war. Um rechtzeitig zum Giro d‘Italia fit zu sein, trainierte er wochenlang mit Gips auf der Rolle. Das zweitwichtigste Radrennen nach der Frankreich-Tour sollte der Saisonhöhepunkt sein, vielleicht der Höhepunkt seiner ausklingenden Karriere. Noch einmal dort am Start zu stehen, wo er 2006 zwei Etappen gewann, war sein großer Traum. Als es so weit war, stand sein Name nicht auf der Meldeliste. „Eine vernünftige Erklärung hab ich von der Teamleitung nie erhalten“, sagt Schumacher heute. Später wurde gemunkelt, er und sein Teamkollege Davide Rebellin, mit dem ihn die gemeinsame Vergangenheit im Team Gerolsteiner verbindet, seien vom Veranstalter zu unerwünschten Personen erklärt worden.

Ungeachtet seiner Vergangenheit: Schumacher ist kein abgebrühter Typ. Kein eiskalter Stratege im Stile eines Lance Armstrong. Sein jäher Absturz, das Stigma des Lügners, das ihm auch dann noch anhaftete, als er beschloss, auszupacken, nagt an ihm. Er ist ein Gebrandmarkter, der seit Jahren, von ungebrochenem Ehrgeiz getrieben, um neue Anerkennung kämpft.

In Stuttgart beginnt für ihn nicht nur ein neues sportliches Kapitel, sondern auch eine neue Lebensphase. Er gibt sich kämpferisch, weiß aber auch: Mit 34 Jahren schmiedet man im Leistungssport keine Zukunftspläne mehr. Er habe früher vieles mit der Brechstange versucht, sagt er. Das ist heute anders. Familienplanung, die Zeit nach dem Karriereende sind Themen, die nach vorne drängen. Er will sich in den Dienst der Mannschaft stellen und helfen, „dass das Projekt in Stuttgart erfolgreich in Fahrt kommt“, wie er sagt.

Gestern früh ist er ins Trainingslager nach Mallorca gestartet. Rennauftakt ist am 7. Februar mit dem Gran Premio degli Etruschi in Italien, einem Rennen der ersten Kategorie. Die meisten seiner künftigen Teamkollegen sind Anfang zwanzig, einige noch nicht einmal das. Schumachers häufigster Trainingspartner ist ein Kirchheimer: Der 28-jährige Kai Kautz zählt bei den Stuttgartern inzwischen zu den erfahrenen Kräften im Team. Erfahrung ist das, was Schumacher in seiner neuen Rolle weitergeben will, auch wenn er weiß, dass viele dies mit einem zynischen Lächeln quittieren werden. Er habe aus seinen Fehlern gelernt, sagt er. „Ich will das Recht haben, mit jungen Rennfahrern reden zu können – ohne Vorbehalte.“

Eines haben Erfahrung und gute Vernetzung bereits bewirkt: Der dänische Schmuckhersteller Christina Jewelry, für dessen Team der Nürtinger zwei Jahre lang am Start stand, investiert nach einjähriger Pause wieder in den Radsport. Wie es heißt, einen niedrigen sechsstelligen Betrag, zunächst für ein Jahr. Solange läuft auch Schumachers Vertrag. Fürs Finale daheim gilt: Verlängerung möglich.