Lokalsport

Das Glück dieser Erde

Forschungsprojekt Die Kirchheimerin Dr. Nina Grausam untersucht mit Studentinnen der PH Schwäbisch Gmünd die Sprachentwicklung von Migrantenkindern durch die Arbeit mit Pferden. Von Bernd Köble

Keine Angst vor großen Tieren - beim Projekt von Dr. Nina Grausam (links) in der Reithalle geht es auch um Urvertrauen.Foto: Car
Keine Angst vor großen Tieren - beim Projekt von Dr. Nina Grausam (links) in der Reithalle geht es auch um Urvertrauen.Foto: Carsten Riedl

Axel wäre wohl einverstanden. Eine Mütze, eine Jacke, einen Schal - es sind nützliche Dinge, die Mayla an diesem bitterkalten Januartag in ihren imaginären Koffer packt. Dazu Äpfel und Karotten, weil Axel die mag. Sie spricht die Worte laut aus, und sie tut es sichtlich mit Stolz. Axel und Mayla - eine außergewöhnliche Beziehung. Der 18-jährige Hannoveraner-Schimmel und das fünfjährige Mädchen aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Im Maßstab eines Pferdelebens gilt Axel als älterer Herr, der sein schwindendes Temperament zu zügeln weiß. Mayla hat davon reichlich. Sie möchte nächsten Sommer zur Schule gehen und vor allem: Sie will Deutsch lernen.

Zehn Migrantenkinder aus Kirchheimer Kindergärten sind in der Halle des Kirchheimer Reit- und Fahrvereins am Ziegelwasen seit September mit Feuereifer bei der Sache. Dass sie als Forschungsobjekt dienen, interessiert sie nicht. Sie haben Spaß und lernen ganz nebenbei die Sprache eines Landes, das seit Kurzem ihre Ersatzheimat ist. Welchen Einfluss Bewegung auf die Sprachentwicklung hat, darüber gibt es zahlreiche Studien. Wissenschaftler sind sich einig: sehr viel.

Die Kirchheimerin Dr. Nina Grausam, akademische Rätin an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd, saß schon als Kind fest im Sattel. Am Beispiel des Reitsports will sie den Nachweis führen, dass sich der Umgang mit Pferden, die gemeinsame Bewegung, positiv auf die Sprachkompetenz der Kinder auswirken. „Bisher orientierten sich solche Studien meist an Bewegungslandschaften in der Turnhalle“, sagt sie. „Mit dem Pferd kommt eine soziale Komponente hinzu.“ Kein Hokuspokus, sondern empirische Forschung. Mit einer Gruppe Studentinnen der PH vergleicht sie Ein- und Ausgangstests des siebenmonatigen Projekts, das unter anderem von der Stadt Kirchheim finanziell unterstützt wird. Die Analyse soll später in einer Konzeption für therapeutische Einrichtungen münden.

Mayla wirkt etwas verloren auf dem mächtigen Rücken des Schimmels. Dort, wo zumindest der Volksmund alles Glück dieser Erde verortet. Als gälte es genau das zu untermauern, löst das Mädchen lächelnd den sicheren Griff am Gurt und streckt beide Arme weit von sich, während Axel an der Longe von Reitlehrerin Heike Glänzer geduldig seine Runden dreht.

Es geht um Sprechmotorik, es geht um Freundschaft zwischen Mensch und Tier und es geht um Urvertrauen. Ein Pferd, das haben die meisten der Kinder bis dahin nicht gekannt. Einige sind schreiend weggerannt beim ersten Treffen. Zeit brauchten fast alle, ehe sie Vertrauen fassten zu dem mächtigen Tier. Wie heißt das Haar des Pferdes? „Mäh-ne“, verkündet Mayla stolz und greift ihrem Gefährten beherzt in die Wolle. Dabei dehnt sie die Silben lange im Takt des gleichmäßigen Trabs.

„Gerade Kindern, die aufgrund ihrer sozialen und kulturellen Herkunft Probleme mit Sprache haben, fällt es leichter, sich über Bewegung auszudrücken“, sagt Nina Grausam. Generell gilt: Kinder finden spielerisch und damit leichter Zugang zu einer fremden Sprache als Erwachsene. Aus einem kleinen Wortschatz, den sie zu Beginn des Projekts mitgebracht haben, sind inzwischen ganze Sätze geworden. Im beheizten Reiterstüble nebenan lässt Tarek nicht locker. Der Sechsjährige aus Syrien liefert sich im „Memory“-Spiel um alltägliche Begriffe ein Duell mit seinem Tischnachbarn. Es geht darum, wer als Nächster hinaus darf, um auf Axel zu reiten. Tarek gewinnt. Er strahlt vor Glück. Warum, verrät er uns gerne: „Axel“, flüstert er, „ist mein Freund.“