Lokalsport

Das Meisterstück

Radsport Jannik Steimle feiert nach vier Tagen in Gelb in der Slowakei seinen ersten großen Rundfahrt-Erfolg. Beim deutschen Doppelsieg wird Nico Denz in einem Wimpernschlag-Finale Gesamtzweiter. Von Bernd Köble

Die Pose, von der jeder Profi träumt: Jannik Steimle feiert in Gelb seinen Rundfahrtsieg.Foto: Igor Stancic
Die Pose, von der jeder Profi träumt: Jannik Steimle feiert in Gelb seinen Rundfahrtsieg.Foto: Igor Stancic

Es gibt Tage, da strahlt die Sonne auch im Schatten hell. 1 300 Kilometer vom grellen Scheinwerferlicht in Paris entfernt hat Jannik Steimle am Wochenende seinen eigenen Toursieg gefeiert. In einem packenden Duell mit seinem deutschen Landsmann Nico Denz (Team Sunweb) verteidig­te der Weilheimer seine hauchdünne Führung bei der viertägigen Slowakei-Rundfahrt bis zum Zielstrich auf der Schlussetappe. Steimle, nach seinem Auftaktsieg im Einzelzeitfahren vom ersten Tag an in Gelb, rollte am Hinterrad seines schärfsten Verfolgers am Zielort in Skalice über die Linie und verzichtete zunächst auf jede Jubelpose. Warum, verriet ein Blick aufs Gesamtklassement: Weil beide Fahrer an der Spitze zeitgleich gewertet wurden, entschied am Ende das Einzelzeitfahren über den Gesamtsieg. Da war Steimle ganze zwei Hundertstel Sekunden schneller gewesen als sein Kontrahent.

„Ich wusste natürlich, dass es im Massensprint keine Zeitabstände geben würde“, sagt der Weilheimer. „Trotzdem wollte ich auf keinen Fall zu früh jubeln.“ Dabei hatte am Vortag noch alles auf das große Drama hingedeutet. Nach einem Reifendefekt in der Abfahrt verlor Steimle fast drei Minuten, nachdem er im langgezogenen Feld eine gefühlte Ewigkeit aufs Begleitfahrzeug warten musste. „Ich war mir sicher, das war’s“, sagt er. Doch der Quickstep-Zug funktionierte und brachte den Mann in Gelb wieder zurück ins Rennen. Am Ende landete Steimle im Sprint auf Platz fünf.

Auch auf der Schlussetappe am Samstag blieb es ein Kopf-an-Kopf-Rennen an der Spitze. Denz übernahm nach einer Zeitgutschrift im Zwischensprint sogar kurzzeitig die Führung, doch Steimle schlug zurück, holte bei der nächsten Sprintwertung entscheidende Bonussekunden und blieb bis zum Zielstrich am Hinterrad seines Verfolgers im Gesamtklassement. Es war ein Erfolg, der keinem Plan folgte - zumindest anfangs nicht. Teamkollegen wie der Kolumbianer Alvaro Hodeg oder Yves Lampaert, der das Rennen im vergangenen Jahr gewonnen hatte und seine erste Rundfahrt nach seinem Schlüsselbeinbruch bestritt, kamen als Kapitäne vor dem Start ebenso infrage. Doch die besten Beine hatte diesmal der Newcomer aus dem Schwabenland, das war spätestens klar, als der am zweiten Tag sein Gelbes Trikot verbissen verteidig­te. „Schon nach dem Zeitfahren wusste ich, da kann was passieren“, sagt Steimle.

Julian Alaphilippe, Yves Lampaert und jetzt: Jannik Steimle - die Slowakei-Rundfahrt bleibt auch das dritte Jahr in Folge Erfolgsbühne für das beste Worldtour-Team der vergangenen Saison, das mit 35 Siegen auch im Moment die Weltrangliste anführt. Nach einem Wochenende, das aus Sicht der Belgier keine Wünsche offen ließ. Als sein Teamkollege Sam Bennett auf den Champs Élysées am Sonntag zum letzten Etappensieg bei der Tour raste und anschließend im grünen Trikot des besten Sprinters in Paris aufs Podium kletterte, saß Jannik Steimle bereits daheim in Weilheim vor dem Fernseher. Neben sich die bisher größte Trophäe in seiner noch jungen Karriere als Radprofi. Ein gelbes Jersey, für das er hart gearbeitet hat. Nicht nur während der vier Tage in der Slowakei. „Die Wochen und Monate ohne Rennen waren schwer für den Kopf“, sagt Jannik Steimle. „Ich habe das Rad nie stehen lassen, habe meinen Plan voll durchgezogen und bin jetzt dafür belohnt worden.“

Sein größter Lohn neben den zahllosen Glückwünschen von Fahrerkollegen: die Erkenntnis, dass er für jeden ein ernstzunehmender Konkurrent sein kann. Das gibt bei allem Respekt auch Selbstvertrauen für die größte Herausforderung, die nun auf ihn wartet. Bei der dreiwöchigen Spanien-Rundfahrt, die am 20. Oktober im Baskenland beginnt, ist er als Helfer für Sam Bennett eingeplant. Doch er weiß: Mit jedem Erfolg wächst auch die Freiheit, die er im Team genießt. „Wenn die Chance auf einen Etappensieg da ist, werde ich sie auch bekommen“, sagt Steimle selbstbewusst.

Sein Gelbes Trikot vom Samstag liegt noch daheim im Schrank. Ob er sich das irgendwann einrahmen und an die Wand hängen werde? „Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, sagt er. „Aber mal schauen, vielleicht fange ich jetzt mal damit an.“