Die letzten 200 Kilometer am längsten Etappentag der Vuelta konnten sich die Radprofis am Donnerstagabend bequem im Teambus zurücklehnen. Während des langen Transfers zum gestrigen Startort Salamanca wusste Jannik Steimle noch immer nicht, was schwerer wiegt. Die Enttäuschung über den verpassten Etappenerfolg bei seiner ersten Grand Tour oder die Freude, am vielleicht härtesten Tag der Spanien-Rundfahrt an der kompletten Weltspitze vorbei als Dritter aufs Podium gestürmt zu sein.
So oder so: Der 24-jährige Weilheimer ist seit Donnerstag endgültig angekommen in der World Tour. An dem Platz, an dem sein damaliger Sportlicher Leiter Andreas Grossek vor vier Jahren schon behauptet hat, dass er vorbestimmt sei. Die graue Eminenz im österreichischen Team Felbermayr verglich seinen Deutschland-Import damals mit einem Typ wie Peter Sagan, der zu diesem Zeitpunkt im Zenit seiner außergewöhnlichen Karriere stand. Für den Satz wurde Grossek von vielen belächelt. Zurückgenommen hat er ihn nie.
Seit seinen Erfolgen im drittklassigen Team Felbermayr kennt die Karrierekurve von Jannik Steimle nur eine Richtung: steil nach oben. Er hat bewiesen, dass er das Potenzial mitbringt. Was fehlt, ist allein die Erfahrung, die man an Tagen wie diesem Donnerstag sammelt. Der ungewohnte Wechsel von der Arbeiter- in die Chefrolle, der kurze Rempler eines ausgebufften Sprinters wie Pascal Ackermann, der lange Radius in der Zielkurve oder das verpasste Hinterrad seines Anfahrers Michael Morkov, das sind Details, die letztlich über den Sieg entscheiden. Ein Sieg, an dem Steimle am Donnerstag so nah dran war und von dem jetzt schon klar ist, dass er irgendwann kommen wird.
„Scheiß nervös“ sei er gewesen auf den letzten beiden Kilometern. Dabei hatte er bis dahin eine seiner größten Stärken unter Beweis gestellt. Kaum einer kam besser mit den beinharten Bedingungen auf der 234 Kilometer langen Königsetappe durchs sturmgepeitschte Hügelland zwischen Galizien und Castilla y Leon zurecht. Mit Regen, zähem Nebel und Temperaturen von vier Grad über Null auf dem 1310 Meter hohen Alto de Padornel, dem letzten Berg vor dem Ziel. Hinten waren sie reihenweise weggeplatzt. Weltklassefahrer wie Marc Soler, Tim Wellens oder der vierfache Tour-Sieger Chris Froome. Sam Bennett, der bei Quick Step eigentlich für den Sprint an diesem Tag vorgesehen war, kam als Letzter im Feld mit mehr als 18 Minuten Rückstand ins Ziel. Steimle dagegen sagt: „Das war mein Wetter.“ Auf den letzten Kilometern gab er der Teamleitung über Funk zu verstehen: „Ich fühle mich stark. Ich will das heute versuchen.“ Mit der Fahrt aufs Podium hat der Weilheimer auch seine Rolle im weltweit führenden Rennstall gestärkt. Lobesworte und ein Schulterklopfen, danach ging es zur Tagesordnung über. „Um einen dritten Platz zu feiern“, sagt Jannik Steimle, „bin ich im falschen Team.“
Gestern gab es erst recht nichts zu feiern. Auf der 162 Kilometer langen Etappe mit zwei Bergwertungen versteuerte sich der Weilheimer auf einer kurzen Abfahrt und stürzte. Ein Sturz ohne größere Folgen. Er kam mit dem Hauptfeld ins Ziel während sein Teamkollege Remi Cavagna nach einer sensationellen Solofahrt zwei Kilometer vor der Ankunft noch abgefangen wurde.
Heute steht die letzte Bergankunft vor dem Finale am Sonntag in Madrid im Programm. Nach 18 harten Tagen sehnen alle das Ende herbei. Alle? Nicht ganz. „Mir wäre es am liebsten, das Rennen würde weitergehen“, sagt Jannik Steimle, für den es nach einem schweren Einstieg in den letzten Tagen immer besser lief. Was für ihn zählt: „Ich nehme von dieser Vuelta eine Menge mit für die nächste Saison.“