Lokalsport

Die Feuertaufe

Jannik Steimle startet mit dem morgigen Prolog aufs Kitzbühler Horn bei der Österreich-Tour

Erstes Profijahr, die erste ganz große Bühne: Für den Weilheimer Jannik Steimle erfüllt sich mit der morgen beginnenden Österreich-Tour ein Traum.

Sein neuer Arbeitgeber sitzt in Österreich, trainiert wird daheim: Jannik Steimle gilt im Radsport als die Neuentdeckung der Sai
Sein neuer Arbeitgeber sitzt in Österreich, trainiert wird daheim: Jannik Steimle gilt im Radsport als die Neuentdeckung der Saison.Foto: Mirko Lehnen

Weilheim. Eine Radsaison wie im Zeitraffer: Sechs Monate sind vergangen, seit er daheim in Weilheim saß, ihm fast die Decke auf den Kopf fiel. Zum Nichtstun verdammt nach einer Meniskusoperation. Die Stimmung bei Jannik Steimle (Foto: Mirko Lehnen) – so mies wie das Wetter. Sogar Tränen flossen.

Szenenwechsel: Die deutschen Straßenmeisterschaften vergangene Woche in Erfurt sind ein Job für Sprinter. André Greipel holt sich den Titel, Marcel Kittel wird Dritter. Zwei Hoffnungsträger im Kampf ums grüne Trikot bei der diesjährigen Frankreich-Rundfahrt. Knapp dahinter fliegt ein 20-Jähriger aus Weilheim ins Ziel. An seinem Hinterrad: John Degenkolb, Paris-Roubaix-Sieger von 2015, der hinter Jannik Steimle im Massensprint 14. wird.

In Momenten wie diesen fühlt sich ein erfahrener Radmanager wie Andreas Grossek bestätigt. Im Winter lotste er Steimle nach Österreich. Im Felbermayr-Team aus Wels hat er schon so manchen Rohdiamanten zurechtgeschliffen. Dass im jungen Weilheimer ein enormes Potenzial steckt, weiß er. Was jetzt kommt, ist ein Wagnis. Mit dem nur 600 Meter kurzen Prolog zum Gipfel des Kitzbüheler Horns beginnt am morgigen Samstag parallel zur Tour de France die Österreich-Rundfahrt. Traditionell ein Rennen für Kletterer. Für Jannik Steimle ist es die Feuertaufe.

Grossek hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Der Ausfall von Top-Sprinter Daniel Schorn, der sich vor drei Wochen bei der Slowakei-Rundfahrt das Schlüsselbein brach, hat seine Pläne durchkreuzt. Dass Steimle nun als siebter Mann seine Chance erhält, ist ein Stück weit auch Belohnung für harte Arbeit und eine außergewöhnliche Saison des Newcomers. Zweifel bleiben. „Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob es eine gute Entscheidung war“, sagt der Teamchef. „Jannik gibt immer 150 Prozent. Es ist wichtig, dass er aus dieser Woche etwas für sich mitnimmt und sich nicht völlig abschießt.“ Für Grossek heißt das: genau hinschauen, und wenn nötig die Reißleine ziehen. „Unser Ziel ist es nicht, mit sieben Mann nach Wien zu kommen“, sagt er. „Unser Ziel ist, bestmöglich abzuschneiden.“ Die Erwartungen sind groß. Die Welser spielen seit Jahren eine tragende Rolle bei der Österreich-Tour. Nach dem vierten Gesamtsieg bei der Oberösterreich-Rundfahrt vor zwei Wochen will man in den kommenden Tagen auch einem Worldtour-Team wie Astana die Stirn bieten.

Respekt ja, Furcht nein: Jannik Steimle weiß, dass er sich seine Kräfte gut einteilen muss, um am 9. Juli das Ziel in der Hauptstadt zu erreichen. Die Schlüsseletappen warten am vierten und fünften Tag mit zwei Bergankünften, eine davon mit der 2 554 Meter hohen Edelweißspitze am Großglockner. Ein spektakuläres Finale nach 183 kraftraubenden Kilometern und knapp 4 000 Höhenmetern. Am Beginn des Schlussanstiegs wird sein Job beendet sein. Dann heißt es nur noch ankommen. Bis dahin gilt: das Feld kontrollieren, Helferdienste leisten, Klassementfahrer wie Teamkapitän Markus Eibegger oder Stephan Rabitsch so schonend wie möglich in eine gute Position zu bringen für die entscheidenden Kilometer am Berg.

Das klingt einfacher, als es ist. Die Bergetappen sind auch für die Helfer der schwerste Teil der Arbeit. Um für diesen Job gewappnet zu sein, hat der Weilheimer nichts dem Zufall überlassen. Seit drei Wochen trainiert er mit seinem Heimtrainer Ralf Kleih gezielt auf diesen Moment hin. Dabei hat er erst am vergangenen Montag erfahren, dass er definitiv dabei sein wird. Heute Mittag ist Treffpunkt im Mannschaftshotel in Kitzbühel, danach Pressekonferenz, Teambesprechung, Streckenbesichtigung. Die Anspannung wächst. Familie und Freunde sind auf den ersten Etappen mit dabei. „Das ist gut für den Kopf“, sagt Steimle, der nur eine Sorge hat: nicht abrufen zu können, was er draufhat, die Leute, die an ihn glauben, zu enttäuschen. Sollte er am Samstag in einer Woche am Kahlenberg, der grünen Lunge Wiens, durchs Ziel fahren, ist das alles vergessen. Die Augen unter der getönten Rennbrille beginnen zu leuchten: „Ich habe richtig Bock.“

Das ORF überträgt täglich live sämtliche Etappen der Österreich-Rundfahrt. Eine tägliche Zusammenfassung des Renngeschehens sendet Eurosport jeweils ab 21 Uhr.