Der Turm der Kirchheimer Martinskirche ist 27 Meter hoch. Hand aufs Herz, wer hätte den Mut, aus dieser atemberaubenden Höhe ins Wasser zu springen? Wohl die wenigsten. Manuel Halbisch tut’s. Sogar leidenschaftlich gern. Beim Absprung breitet er die Arme aus. Macht im Flug bis zu viereinhalb Salti vorwärts, dazu zwei Umdrehungen um die eigene Achse. Dann taucht er, Kopf voraus, fast ohne einen Spritzer ins Meer.
Klippenspringen heißt die spektakuläre Sportart, die der Geräteturner des VfL Kirchheim als zweites Hobby betreibt. Seine Mutter Helga, daheim in Baltmannsweiler, ist jedes Mal heilfroh, wenn der Sohn von einem sogenannten High-Diving-Wettbewerb gesund nach Hause kommt. Ganz selbstverständlich ist das nicht. Denn einmal ist die Mutprobe schon schiefgegangen. 2019 missglückte einer dieser spektakulären Sprünge von
ist der Respekt schon groß.
den Klippen der Azoren. Halbisch war mit seinen Schrauben in der Luft den Bruchteil einer Sekunde zu spät dran. Er knallte mit dem Rücken aufs Wasser und landete mit Rissen in Lunge und Milz sowie schmerzhaften Rückenprellungen im Krankenhaus. Angst? „Wenn man da oben steht, ist der Respekt schon groß. Erst recht, wenn schon mal ein Sprung missglückt ist“, sagt Manuel Halbisch. „Aber wenn man den Sprung gemeistert hat, überwiegt die Euphorie.“
Die Verletzungen sind verheilt. Inzwischen springt er wieder. Nach seinem Hattrick im Wasserspringen bei den baden-württembergischen Landesmeisterschaften im Oktober (Ein- und Drei-Meter-Brett, Kombination) nominierte ihn der Deutsche Schwimmverband für den Weltcup vor Weihnachten in Abu Dhabi, der im Rahmen der Kurzbahn-Weltmeisterschaften stattfand. Inmitten der Weltelite belegte Halbisch den 21. Platz und war nach der langen Zwangspause durch Verletzung und Corona mit seinem Abschneiden sehr zufrieden.
Unmittelbar nach der Rückkehr aus den Emiraten war er an Heiligabend schon wieder im Dienst. Der 23-Jährige ist Polizeibeamter und Mitglied der Hubschrauberstaffel am Stuttgarter Flughafen. Als Co-Pilot in einem „Bussard“ fahndet er mit der Außenbordkamera nach Straftätern, vermissten Personen oder Verkehrssündern auf der Autobahn. Sein nächster Höhenflug nach Grätschen übers Reck und wagemutigen Sprüngen aus luftigen Höhen ins Meer.
Manuel ist der zweitälteste von fünf sportlichen Geschwistern – drei Jungs, zwei Mädchen. In der Jugendklasse war er dreifacher Deutscher Meister im Jahn-Sechskampf, einem anspruchsvollen Mix aus Boden- und Barrenturnen, 100-Meter-Lauf, Kugelstoßen, 100 Meter Schwimmen und Kunstspringen vom Ein-Meter-Brett. Im Geräteturnen verstärkt er die Riege des VfL Kirchheim in der zweiten Bundesliga.
Schwester Maike (16) wandelt auf den Spuren ihres älteren Bruders. Auch sie turnt für den VfL in der Dritten Liga. Ihre größten Stärken hat sie am Schwebebalken und am Boden, wo sie schon als Zwölfjährige deutsche Vizemeisterin war. Wie der Bruder fühlt auch sie sich im nassen Element pudelwohl. Schon im Alter von sieben Jahren gewann sie beim Adventsspringen in Sindelfingen zweimal Gold vom Ein- und Drei-Meter-Brett. Nesthäkchen Merle (13) eifert ihr im Geräteturnen nach. Sie sammelt fleißig Punkte für das Kirchheimer Nachwuchsteam des VfL in der Regionalliga Süd.
Der 18-jährige Arne war 2018 dreifacher deutscher Jugendmeister am Boden, Sprung und Reck, ein Jahr später Achter bei der Junioren-EM in Ungarn. Es folgte der logische Aufstieg vom zweitklassigen VfL zum TV Wetzgau in die Bundesliga, wo ihn im Herbst auf dem Weg ins Mannschaftsfinale eine Daumenverletzung stoppte. Am Boden, Sprung und Reck hat der jüngste der Halbisch-Brüder internationales Format. Nur der älteste der Rasselbande aus „Baltimore“ wie sich die Schurwaldbewohner scherzhaft selbst nennen, schlägt sportlich etwas aus der Art. Der 29-jährige Julian geht im American Football für die Esslinger „Raccoons“ auf die Jagd nach Touchdowns.
Eine Großfamilie voller Multisportler bedeutet enormen Zeitaufwand. Allein schon die unzähligen Fahrten mit dem „Familien-Taxi“ zum Training nach Kirchheim oder in die Leistungszentren nach Ruit oder Bad Cannstatt. Vater Axel, AH-Fußballer beim TSV Strümpfelbach, steht für diese Aufgaben berufsbedingt nur bedingt zur Verfügung. Bleibt Mutter Helga, die in ihrer knappen Freizeit nebenbei noch das Geräteturnen der Mädels in Baltmannsweiler und Aichwald leitet. „Inzwischen sind die Fahrten zum Training weniger geworden“, sagt sie. „Arne hat sich mittlerweile ein Motorrad angeschafft.“