Lokalsport
Die lange Rückkehr zum großen Wurf

Coronakrise Das Beispiel der Judoabteilung im VfL Kirchheim zeigt, wie viele Themen der Wiederbeginn in einer Kontaktsportart aufwirft. Zumal die virusbedingte Zwangspause Trainingslücken hinterlässt. Von Reimund Elbe

Kontaktsportart - der Begriff wird zur Zeit fast inflationär verwendet. Die Judoka des VfL Kirchheim zum Beispiel kennen ihn zur Genüge. Ihr Sport stand praktisch seit März 2020 still. Nach langer Zwangspause startet die Abteilung nun wieder durch.

Der Weg zurück in den Trainingsbetrieb bleibt jedoch problembehaftet. Besonders im Kinder- und Jugendbereich sehen sich die Übungsleiter vor etliche Proben gestellt. Einen Vorgeschmack auf vermutlich weiterhin energiezehrende Wochen und Monate gab es unlängst beim ersten Übungs­abend. An jenem machte Gabi Deuringer zunächst einen Job, den sie sich vor eineinhalb Jahren nicht ansatzweise hätte vorstellen können: Am Eingang der Walter-Jacob-Halle steht die Jugendleiterin zusammen mit Ehemann Karsten, kontrolliert Nachweise. „Die 3G-Regel gilt“, betont sie, „genesen, getestet, oder geimpft“. Wer ohne Schriftstück oder digitale Dokumente eintrifft, kann nicht rein. Die begleitenden Mütter und Väter durften laut Vorschrift sogar grundsätzlich nicht mit in die Halle, mussten vor dem Gebäude beim Abwickeln der Formalitäten einen Mund-Nasenschutz tragen.

Die Kinder- und Jugendlichen rücken zudem bereits im Judo-Outfit an - eine weitere von vielen Vorgaben, die im konkreten Fall dazu dienen soll, die Verweildauer in den Umkleidekabinen möglichst gering zu halten.

Anna Schneider ist ob der Szenerie hin- und hergerissen. „Einerseits alles etwas umständlich, weil man zum Beispiel immer daran denken muss, dass das Kind einen Test von der Schule mitbringt“, sagt die Mutter eines VfL-Nachwuchsjudoka, andererseits sei sie überglücklich, dass ein Stück Normalität ins Leben zurückkehre.

Positive Stimmung überwiegt beim Re-Start. Auch beim Judo-Abteilungsleiter. „Irgendwie fühlt man sich wie neugeboren“, gibt Thorsten Heck Einblick in seine Gefühlswelt an jenem besonderen Abend in der Jesinger Halde, zumal es kaum Kündigungen seit dem Corona-Ausbruch Anfang 2020 gegeben habe. Doch der Abteilungschef malt nichts rosarot. „Im Restjahr werden wir an keinen Meisterschaften teilnehmen“, kündigt Heck an, allenfalls Vereinsmeisterschaften im Herbst könne er sich aktuell vorstellen. „Wir müssen erst einmal wieder alles Schritt für Schritt aufbauen“, lautet sein zentrales Argument, auch weil unsicher sei, wer überhaupt noch zur Verfügung stehe.

Zur ersten Trainingseinheit kommen immerhin rund 20 Kinder und Jugendliche, allerdings deutlich weniger als die Hälfte im Vergleich zur Vorkrisenzeit pro Trainingsabend. „Etliche wollen erst nach den Sommerferien einsteigen“, ergänzt Coach Karsten Deuringer.

Pause hat Spuren hinterlassen

Bei den jungen Sportlerinnen und Sportler stößt die defensive Vorgehensweise in Sachen Wettkämpfe auf Verständnis. „Ich weiß einfach nicht, wo ich leistungsmäßig stehe“, sagt beispielsweise Maxim Smirnov. Der VfL-Nachwuchsjudoka hatte sich in der Pandemie zwar unter anderem durch Joggen fit gehalten, allerdings wohlwissend, dass Judo vor allen Dingen vom direkten Kontakt mit dem Gegenüber sowie einem permanenten Einüben von Wurf-, Fall- und Bodentechniken lebt. Beim ersten Training zeigen sich tatsächlich Lücken. Der Satz des Abends kommt dabei von der Jugendleiterin höchstpersönlich. „Könnt ihr euch noch erinnern?“, fragt Gabi Deuringer augenzwinkernd in die Runde, als sie eine Wurftechnik vorführt.

In der Praxis zeigt sich, wie komplex der Einstieg ist, und nach einigen Minuten stellt die Jugendleiterin kurz und knapp fest: „Es fehlt heftig.“

Manche Bewegungen der Nachwuchsakteure wirken in der Tat unausgereifter als eineinhalb Jahre zuvor. Björn Kneile hat hinter der Hallentrennwand bei seiner ersten Trainingseinheit einen dankbareren Job. Bei der Übungseinheit mit den Jüngeren setzt der Coach fürs Erste auf Spiel und Spaß: Gruppendynamik, erzeugt durch lockere Liegestützen, das Abwehrwerfen anderer per Ball und fröhlichem Klatschen in die Hände im Takt des Queen-Klassikers „We will rock you“ - Frohsinn als Antwort auf zurückliegende, karge Sportzeiten. Das VfL-Beispiel zeigt: Die Konzepte für ein rasches Zurück in den normalen Judo-Alltag sind vielfältig, bleiben herausfordernd und anspruchsvoll.