Lokalsport

Die Pionierinnen aus dem Aichtal

Frauenfußball Der TSV Grötzingen setzte sich 1970 im Bezirk Neckar/Fils an die Spitze der Bewegung und feierte beachtliche Erfolge wie den Titelgewinn auf Bezirks- und Verbandsebene. Ein halbes Jahrhundert später erinnern sich die ehemaligen Spielerinnen mit Stolz an eine Zeit, in der Frauenfußball noch belächelt und verspottet wurde. Von Reimund Elbe

Eine Aufnahme von den Anfängen des Grötzinger Frauenfußballs aus dem Jahr 1972. Stehend von links: Monika Treutner, Bärbel Ilg, Erika Riethmüller, Gudrun Weinmann (geborene Adolf), Margret Grimme (geborene Thumm), Elfriede Schmid (geborene Lewang), Susi Mayer (geborene Dieren), Waltraud Rainer; knieend von links: Marita Noak, Ingeborg Drewenick, Ingrid Bosch, Monika Ocker, Erika Auserwählt, vorne liegend: Juliane Handel (geborene Bönkost). Foto: NZ-Archiv
Christel Muszakiewicz zieht im August 1974 im Gruppenspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den FC Bayern München ab. Die Aic
Christel Muszakiewicz zieht im August 1974 im Gruppenspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den FC Bayern München ab. Die Aichtalerinnen unterlagen mit 1:4. Foto: NZ-Archiv

Es begab sich zu der Zeit, als Borussia Mönchengladbach erstmals Deutscher Fußballmeister und der Bökelberg nach der Zugspitze zur zweitbekanntesten Erhebung Deutschlands wurde. Charismatiker wie Hennes Weisweiler und Günter Netzer bestimmten den öffentlichen Fußballdiskurs. Im Schatten dieser Ereignisse vollzog sich, fast unbemerkt, eine weitere fußballerische Revolution. Im Herbst 1970 ließ der Deutsche Fußballbund bei seinem Verbandstag in Travemünde das Verbot für Frauenfußball fallen - versehen mit Auflagen.

Wegen ihrer „schwächeren Natur“, so die Argumentation, mussten die Spielerinnen eine halbjährige Winterpause einhalten, auf Stollenschuhe verzichten, die Bälle waren kleiner und leichter, die Spieldauer zunächst auf 70 Minuten limitiert.

Auch im Kleinen trug die historisch anmutende Entscheidung Früchte. Im beschaulichen Aichtaler Gemeindeteil Grötzingen beispielsweise - ein Ortsname, bei dem Kenner des Frauenfußballs nostalgische Gefühle überkommen. „Der TSV Grötzingen war ein Bahnbrecher für den Frauenfußball, nicht nur hier im Bezirk, sondern weit darüber hinaus“, ordnet Heinz Thumm, jahrzehntelang Beauftragter für Frauenfußball im Bezirk Neckar-Fils, die Bedeutung ein. Klaus Weinmann und Abteilungsleiter Wolfgang Zeissberg gehörten einst zu jenen Strippenziehern.

Bei einem Umtrunk, so zu entnehmen offiziellen Festschriften des TSV Grötzingen, sei es anno 1970 zum Geistesblitz gekommen. Das fröhliche Beisammensein gipfelte zu später Stunde in der Erkenntnis, dass Grötzingen auf den gerade anfahrenden Zug Frauenfußball aufspringen solle. Konkretes Ergebnis der spätabendlichen Konsultation: eine Anzeige in der Nürtinger Zeitung unter der Überschrift „Spielerinnen gesucht“.

Christel Muszakiewicz gehörte zu jenen, die auf den anfahrenden Zug aufsprangen. Gerade einmal 15 Jahre alt, mischte die Reudernerin im eben erst frisch installierten Grötzinger Frauenteam munter mit. Zuvor hatte die junge Frau aus dem Nürtinger Teilort manch altehrwürdige Funktionärsseele in Gewissenskonflikte und zum Kochen gebracht. „Bei einem Fußballturnier Ende der Sechzigerjahre wollte ich beispielsweise als Mädchen im Bubenteam mitspielen“, geht die 65-Jährige gedanklich auf Zeitreise, „erst nach langem Hin und Her wurde es mir erlaubt mitzuspielen. Ein Riesentheater.“ Eine aus heutiger Sicht fast unwirklich erscheinende Szenerie.

Während im Kleinen das zarte Pflänzchen des Frauenfußballs trotz Gegenwind zaghaft wuchs, gab es auf der großen Bühne reichlich Spott und Häme. Spielerinnen wurden von meist männlichen Zuschauern und Medien immer mal wieder ungeniert durch den Kakao gezogen. In den Sportteilen der Zeitungen, auch lokaler Blätter, philosophierten die schreibenden Herren zudem ungeniert über „wohlproportionierte Spielerinnen“, „schwarze Schönheiten“ oder „Amazonen“, bemängelten spöttisch die ab und an noch nicht ausgereifte Technik der Akteurinnen („ohne Damenfußball wäre die Welt auch nicht ärmer“) oder die robuste Art der Zweikampfgestaltung („auch Damen spielen nicht in Ballettschuhen“).

Spott im Sportstudio

Den Vogel schoss der legendäre Showmaster Wim Thoelke ab, der in den Siebzigerjahren unter anderem das „Aktuelle Sportstudio“ moderierte. „Decken, decken - nicht Tisch decken“, witzelte Thoelke 1970 in einem bissig-satirischen Beitrag zum Sportstudio-Besuch der Spielerinnen der damals noch inoffiziellen deutschen Fußballnationalmannschaft. Selbst der spätere Bundestrainer Jupp Derwall („Ich dachte, das ist so eine Modewelle der Damen, nach Maxi kommt Mini“) reihte sich in die Reihe der Scherzkekse ein.

Für Hannelore Ratzeburg kein Wunder. „Die meisten Frauen, die sich beim Fußball versuchten, hatten keine entsprechende Ausbildung durchlaufen - wie auch?“, lässt die heutige Vizepräsidentin des Deutschen Fußballbundes (DFB) die damalige Zeit kritisch Revue passieren. Kein Wunder sei deshalb gewesen, dass sich Männer am Spielfeldrand „manchmal die Bäuche gehalten haben“. Ratzeburg sah sich schon 1970 als treibende Kraft, hatte in ihrer Funktionärslaufbahn maßgeblichen Anteil, dass der DFB-Pokal für Frauen, Talentfördermaßnahmen sowie spezielle Trainerausbildungen forciert wurden.

An der Aich ging es derweil etwas beschaulicher zu. Grötzingens erster Damenteam-Trainer Klaus Weinmann sah die Sache anno 1970 pragmatisch: „Die Mädchen und Frauen spielen aus Begeisterung, aber natürlich auch, weil sie den Männern zeigen wollen, dass sie was können.“ Des Weiteren kam in Grötzingen offenbar von den teils aufgeheizten Diskussionen über Sinn und Zweck des Frauenfußballs wenig an. „Die Grötzinger waren extrem aufmerksam, kümmerten sich um die Abläufe und bildeten sogar Fahrdienste für die Spielerinnen“, weiß Christel Muszakiewicz, die, wie viele andere Kickerinnen, nicht aus Grötzingen stammte. Sie habe grundsätzlich kaum Vorurteile gegen Damenfußball gespürt. „Vielleicht lag es daran, dass wir auf dem Land leben, wo fast jeder jeden kennt“, mutmaßt sie.

Bärbel Ilg argumentiert in eine ähnliche Richtung. Die Schwester des damaligen Trainers Klaus Weinmann erlebte als Grötzingerin die Startphase hautnah mit. „Die Zuschauer waren begeistert“, rekapituliert die einstige Abwehrspielerin. Und: Die lokale Fußballgemeinde stimmte letztendlich mit den Füßen ab. Zum aus dem Boden gestampften Grötzinger Pfingstturnier pilgerten von Beginn Hunderte Zuschauer, beim Finale 1971 zwischen dem Hamburger SV und dem VfB Sennefeld (1:0) sogar um die 1200.

Die Grötzinger Kickerinnen lieferten zu der besonderen Story weitere Kapitel: In der Saison 1970/1971 erster offizieller Bezirksmeister, 1973 der Clou mit der württembergischen Frauenfußballmeisterschaft - erkämpft per 3:2 nach Verlängerung vor 500 Zuschauern im Nürtinger Wörthstadion gegen den SV Reute. Die Ehrung durch Hans Kindermann, europaweit in jener Zeit berühmt als Chefankläger im Bundesliga-Bestechungsskandal, bildete ein weiteres Highlight. Die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft im August 1974 folgte, verbunden mit Klatschen gegen den SV Bubach-Calmesweiler (0:9), die SpVgg Wiehre (1:5) und Bayern München (1:4). „Es war auf jeden Fall eine schöne Zeit, das Spiel gegen Bayern München war für mich das absolute Highlight“, unterstreicht Christel Muszakiewicz mit einem Hauch von Melancholie.

Jene beschleicht auch die Fußball-Nostalgiker im Aichtal, wenn sie den weiteren Gang der Dinge in der Retrospektive betrachten. „Manchmal wussten wir am Sonntagmorgen nicht, wer mittags aufläuft“, erinnert sich die ehemalige Abwehrspielerin Gaby Klett an jenen Spielerinnenmangel, der sich in den Achtzigern und frühen Neunzigerjahren ausprägte. Dass es schließlich in der Saison 1994/95, just zum 25-jährigen Jubiläum der Frauenfußballerinnen, zu einer Spielgemeinschaft mit dem TB Neckarhausen kam, sei keine Überraschung gewesen.

Heute gibt es an der Aich lediglich noch ein Hobbyteam. Beim TSV Grötzingen verblassen folglich die Erinnerungen an die glorreiche Epoche. Auf eine andere Weise bleibt diese Zeit jedoch dauerhaft präsent. „Es sind etliche Ehen und Kinder aus der damaligen Zeit hervorgegangen“, bilanziert Grötzingens langjähriger Funktionsträger Thomas Klett und weiß dabei, wovon er redet. Seine Frau Gaby lernte er vor drei Jahrzehnten als Co-Trainer des Frauenteams kennen und lieben.

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