Lokalsport

Die pure Freiheit auf zwei Sohlen

Orientierungslauf Die Dettinger Zwillinge Marlene und Julia Fritz wollen in einer Nischensportart ganz nach oben. Mit 14 Jahren zählen sie zu den Besten ihres Alters in Deutschland. Von Reimund Elbe

Schneereste unter den Sohlen, den Wind um die Nase: Für Marlene und Julia Fritz aus Dettingen sind es die schönsten Stunden, wen
Schneereste unter den Sohlen, den Wind um die Nase: Für Marlene und Julia Fritz aus Dettingen sind es die schönsten Stunden, wenn es draußen in der Natur auf Entdeckungstour geht.Fotos: Markus Brändli

Ein Samstag kurz vor Weihnachten. Kalter Wind fegt gegen Mittag über den Wanderparkplatz Rauberweide bei Ochsenwang. Immer mal wieder fällt Regen. Auf den Wiesen dieses besonders schönen Fleckchens der Schwäbischen Alb liegen noch Reste des ersten Schnees in diesem Winter. Scheinbar unbeeindruckt von Matsch und kühlen fünf Grad Außentemperatur treffen sich hier gegen 13 Uhr über zwei Dutzend Sportlerinnen und Sportler - eine Trainingseinheit des Orientierungslauf-Teams Filder steht an.

Auch die Zwillinge Julia und Marlene Fritz aus Dettingen sind mittendrin statt nur dabei. Junge Orientierungsläuferinnen mit Perspektive, seit Sommer 2019 sogar amtierende deutsche Vizemeisterinnen in der Staffel. Marlene ist die ältere der beiden, „um rund eine Minute“, wie ihr Vater Michael Bohsmann schmunzelnd betont. Die 14-Jährige aus der Teckregion steht kurz vor dem Aufstieg in den Bundeskader, bringt dafür offenbar neben Talent auch den nötigen Ehrgeiz mit. Dass Orientierungslauf unter dem Etikett Nischensport läuft, scheint die Gymnasiastin dabei nicht im Geringsten zu stören. „Diese Sportart macht einfach Freude, sie bringt neben dem Wettkampfgedanken auch ein Gefühl von Freiheit mit sich“, meint die Schülerin des Ludwig-Uhland-Gymnasiums, die beim Laufen die Nähe zur Natur genießt.

Doch was ist Orientierungslauf eigentlich? Die Kernaufgabe: Kontrollpunkte im Gelände mit Hilfe von Landkarte und Kompass zu finden und in möglichst kurzer Zeit abzulaufen. „Dabei wählt man die Route selbst“, sagt Marlenes Schwester Julia. Auch die Jüngere der beiden würde liebend gerne in den Bundeskader aufrücken, blickt jedoch trotz Staffelsilbers bei den Deutschen Meisterschaften eher kritisch auf die zu Ende gehende Saison zurück. Mehr als Platz zwölf in der aktuellen Bundesrangliste hätte es gerne sein dürfen. Durch Verletzungen und Krankheit hat sie eine bessere Platzierung in diesem Jahr verfehlt.

Marlene und Julia Fritz, Orientierungsläuferinnen aus Dettingen beim Training, Orientierungslauf
Marlene und Julia Fritz, Orientierungsläuferinnen aus Dettingen beim Training, Orientierungslauf

Die Geschwister bringen für ihr ungewöhnliches Hobby viel Zeit auf. Kräftigungsübungen, Tempoläufe, einmal die Woche lockeres Joggen sind die eine Seite, nationale und internationale Wettkämpfe die andere. Schottland, Kroatien, Italien - nur einige der europäischen Länder, welche die beiden jungen Dettingerinnen schon läuferisch erkundet haben. Der vorläufige Höhepunkt bisher: ein Start in China. Der Asien-Trip in den Herbstferien bot immerhin weniger Konfliktpotenzial als andere Reisen. „Oft müssen wir schon freitags während der Unterrichtszeit zu den Rennen fah­ren“, sagt Marlene Fritz. Ihre Lehrer an der Schule sehen das nicht immer gern. Julia: „Wir lernen dafür oft im Auto Vokabeln oder machen Hausaufgaben.“ Bisher leiden die schulischen Leistungen kaum darunter, die Noten der beiden Mädchen sind überdurchschnittlich.

Ihre Freude am Sport und dem Orientierungslauf im Speziellen liegt auch in der Familientradition begründet. Beide Elternteile kommen aus der Laufsportszene. Michael Bohsmann zählte vor rund 30 Jahren zu den besten Langstreckenläufern im Kreis Esslingen, lieferte damals unter anderem im Marathonlauf äußerst respektable 2.29 Stunden ab. Der drahtige 58-Jährige coacht nicht nur zusammen mit seiner Partnerin Kristine Fritz die beiden Töchter, sondern spielt auch eine maßgebliche Rolle als Koordinator des OL-Teams Filder. Das wurde vor 16 Jahren in Dettingen gegründet. Genauer gesagt, im Wohnzimmer der Familie Fritz/Bohsmann. Im Dezember 2019 ist der Klub vitaler denn je. Die rund 50 Mitglieder im Alter von neun bis 76 Jahren nehmen regelmäßig an den Landesranglistenläufen in Baden-Württemberg, Deutschen Meisterschaften und teilweise auch Weltmeisterschaften teil. Im Training bei Ochsenwang sind an diesem Tag trotz des ungemütlichen Wetters mehr als die Hälfte der Klubmitglieder dabei - und werden belohnt. Just, als Michael Bohsmann das Startkommando gibt, lugt die Sonne hinter dunklen Wolken hervor. Auch Julia und Marlene machen sich mit einem Lächeln auf den Weg. Sie haben Spaß, ob es stürmt oder schneit. Keine schlechten Voraussetzungen, wenn man höhere Ziele erreichen will.

Der Ursprung ist in Skandinavien

Der Orientierungslaufsport ist in der International Orienteering Federation (IOF) organisiert, der aktuell rund 80 Mitgliedsländer angehören. Während Europa, Amerika und Ostasien in dem Sport stark vertreten sind, findet man bisher nur wenige Mitgliedsländer in Afrika und der arabischen Welt. Orientierungslauf zählt zu den vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannten Sportarten, wurde bisher jedoch noch nie bei Olympischen Spielen ausgetragen. Ihre Ursprünge hat die Sportart in Skandinavien zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Orientierungslauf hat dort mittlerweile den Rang eines Volkssports.rei