Mit großen Augen musterte Elisabeth II. ihr Gegenüber, der sie um fast zwei Köpfe überragte. Ein Hüne von Gestalt, gut drei Zentner schwer. Muskelbepackte 1,94 Meter vom Scheitel bis zur Sohle, mit zotteligen langen Haaren und einem Rauschebart. „What a man!“, mag sich die Königin von England in dem Moment gedacht haben, als sie den gebürtigen Kirchheimer Andreas Deuschle bei den schottischen Highland Games in Breamar persönlich begrüßte.
Die Regentin ist Schirmherrin dieser urtümlichen Veranstaltung nahe Balmoral Castle, ihrem traditionellen Sommersitz. Alljährlich im September bewundert sie die kraftstrotzenden Akteure, wenn diese im Schottenrock bei Dudelsackmusik und vor Tausenden begeisterten Zuschauern Baumstämme und bis zu 40 Kilogramm schwere Gewichte durch die Gegend werfen.
Deuschle ist einer der Stars dieser uralten Sportart. 53 Jahre alt, zweifacher Vater, selbstständiger Versicherungsfachmann und CDU-Stadtrat in Nürtingen. Früher war er einer der besten Kugelstoßer im Land. 1989 Deutscher Juniorenmeister, 1990 Militärweltmeister mit einer persönlichen Bestleistung von 19,17 Meter. Die Wiedervereinigung verhinderte seine Olympiateilnahme 1992 in Barcelona. Die Athleten aus der ehemaligen DDR waren bei der Ausscheidung noch einen Tick besser.
Mit 40, am Ende seiner Laufbahn als Kugelstoßer, entschloss sich Deuschle, Highlander zu werden. Weil die schweren Wurfgeräte den Rasen im Nürtinger Stadion „Neckarau“ ramponieren, übt er oben auf dem Berg im Stadtteil Hardt, wo sich inzwischen eine eigene Highlander-Gruppe etabliert hat. „Ich trainiere sechsmal in der Woche“, wie er betont. „Wenn ich einen Rat brauche, wende ich mich an Kugelstoß-Landestrainer Peter Salzer, der auch ein Nürtinger ist.“
Deuschles Trainingsfleiß zahlte sich aus. 2018 wurde er bei der WM in Stuttgart gegen 20 Konkurrenten Weltmeister in der Master-Klasse. Von den acht Disziplinen des Mehrkampfs - Steinstoßen (2), Hammerwerfen (2), Distance (2), Gewicht-Hochwurf und Baumstamm-Schleudern - gewann er sechs und wurde zweimal Zweiter. 2014 war er in Schottland bereits Vize-Weltmeister geworden. Sieben Mal holte er sich den deutschen Meistertitel.
Der Modellathlet ist alljährlich Stammgast bei den Higland Games. Ob es in diesem Herbst in Schottlands Norden ein Wiedersehen mit Königin Elisabeth II. geben wird, ist wegen der Corona-Pandemie mehr als fraglich.