Lokalsport

Einer für alles

Schaltfaul und cool: Radsportler Philipp Daum ist ein überzeugtes Mitglied der „Fixed Gear“-Kultgemeinde

Wer heute noch ohne Elffach-Schaltung an seinem Renner unterwegs ist, gehört als Radsportler buchstäblich zum alten Eisen. Philipp Daum kann darüber nur lachen. Der 26-Jährige gehört zu einer wachsenden Fangemeinde, die Schaltung und Bremsen am Rad für überflüssig hält.

Wochentags in der Werkstatt, am Wochenende bei Rennen wie hier in Berlin unterwegs: Philipp Daum liebt sein „Fixie“.Fotos: Deniz
Wochentags in der Werkstatt, am Wochenende bei Rennen wie hier in Berlin unterwegs: Philipp Daum liebt sein „Fixie“.Fotos: Deniz Calagan/Constantin Gerlach

Kirchheim. Sie heißen „Killer Race“, „Monstertrack“ oder „Last Man Standing“. Radrennen auf Rädern, die zwei Dinge verbinden: Sie haben keine Bremsen und nur einen Gang. Fixed Gear Bikes oder Singlespeed-Renner haben Kultstatus, seit Radkuriere in den Metropolen rund um den Globus sogar Weltmeisterschaften darauf austragen. Cool ist, was als Underground-Bewegung gilt, denn die irrwitzige Jagd inmitten der Rushhour durch Straßenschluchten und tosenden Verkehr ist häufig illegal. In Deutschland hält die hippe Fixed-Gear-Szene meist nur eine Grauzone besetzt.

Philipp Daum ist weder kriminell, noch anarchisch gefärbt. Die Rennen, die er fährt, sind zumindest nicht verboten. Der Zweirad-Mechaniker hat im Februar seine Meisterprüfung abgelegt. Im Kirchheimer Radsportshop in der Wollmarktstraße macht er im Berufsalltag Hobbyradler glücklich. Was in der Werkstatt durch seine Hände geht, funktioniert danach in der Regel wieder. Singlespeed-Räder sind selten dabei. Anbauteile, die es nicht gibt, können schließlich auch nicht kaputt gehen. Vor ein paar Jahren hat er sich in die puristischen Renner regelrecht verliebt. „Weil es das Radfahren auf das Wesentliche reduziert und einfach cool aussieht“, meint der 26-Jährige. Er muss es wissen, denn als Mountainbiker war er jahrelang in der Bundesliga unterwegs, hat alle Materialschlachten geschlagen und sich gegen verbissene Konkurrenten aufgerieben. Nach einem Trainingssturz und einer schweren Schulterverletzung war vor drei Jahren Schluss.

Rennen fährt Philipp Daum immer noch. Mehr als zehn Termine im Jahr sind es selten. Die sucht er sich nach Lust und Laune aus. Seit zwei Jahren fast nur noch auf seinem „Fixie“, einem knallgrünen Alu-Renner, der schlanke 5,8 Kilo Gewicht auf die Waage zaubert. Das Rad hat keinen Freilauf, getreten werden muss immer – auch bergab. Wer bremsen will, muss gegen den Widerstand der Kurbel arbeiten bis das Hinterrad blockiert. Das bedeutet im besten Fall brutale Muskelarbeit. Wenn‘s dumm läuft, den Tod des Materials. In Berlin, dem Zentrum der deutschen Fixed-Gear-Bewegung, ist ihm vor drei Wochen bei der inoffiziellen Straßen-WM die Kette vom Blatt gesprungen. Mitten im Pulk und am Eingang zu einer Neunzig-Grad-Kurve. Als versierter Mountainbiker hat er blitzschnell reagiert. Mit der Schuhsohle als Bremsklotz am Hinterrad und einem waghalsigen Lenkmanöver hat er die Lage gerettet. Ein Husarenstück bei Tempo 50. Nach einem kurzen Reparaturstopp hat es am Ende noch zu Platz 65 gereicht. „Die Carbonsohle meines Schuhs war danach komplett durch,“ erzählt er lässig. Jeder im Feld mit 250 Startern hätte wohl nicht so reagiert. Daher seine eherne Regel: „Immer im vorderen Drittel dabei sein. Da wissen die meisten, was sie tun.“

Ob er es stets weiß, darüber rätselt so mancher, der mit dem Blondschopf aus Wendlingen am Start steht. Aus purem Spaß wagt Daum sich auf Terrain, das für vieles geschaffen scheint, nur nicht für ein Eingang-Rad. Das Bergzeitfahren auf der Bissinger Meile hat er zweimal gewonnen. Ganz ohne Risiko, sich am Anstieg zu verschalten. „Wenn‘s steiler wird, wechseln andere den Gang“, sagt er. „Ich muss halt schneller treten.“ Ein Prinzip, das Grenzen hat. Beim Ottenbacher Radmarathon „Alb-Extrem“, bei dem er sich am Sonntag kommender Woche zum dritten Mal mit seinem „Fixie“ an den Start stellen wird, warten Steigungen mit bis zu 18 Prozent. Da helfen nur noch Schlangenlinien. Die 240 Kilometer lange Schleife, die er diesmal anpeilt, droht mit satten 4 000 Höhenmetern. Abgestiegen ist er am Berg noch nie. Im Gegenteil: Wenn es steiler wird, zieht er an den meisten vorbei. Wenn es rasant bergab geht, beginnt der Stress. „Da siehst du viele wieder, die zu zuvor am Berg überholt hast“, sagt er. Bei 180 Kurbelumdrehungen pro Minute ist auch für einen erfahrenen „Fixie“-Piloten Schluss. Wo Normalradler entspannt die Beine ausschütteln, beginnt für ihn die Arbeit erst richtig. Und wozu das Ganze? „Weil‘s Spaß macht“, versichert Philipp Daum. Die Fixie-Szene ist ihm ans Herz gewachsen. Die Leute, mit denen er sich in Stuttgart regelmäßig trifft, sagt er, „sind alle locker drauf. Das ist Radsport mit einer ganz anderen Mentalität.“

Single-Speed-Fahrer Philipp Daum
Single-Speed-Fahrer Philipp Daum