Lokalsport
Elf skiverrückte Freunde wagen den Pakt mit dem Teufel

Inferno-Rennen Ab dem kommenden Mittwoch steigt im schweizerischen Mürren die 79. Auflage des berühmt-berüchtigten Skispektakels – mittendrin statt nur dabei sind zum wiederholten Male auch Fahrer aus der Teckregion. Von Helge Waider

Groß und mächtig. Schicksalsträchtig. Um seinen Gipfel jagen Nebelschwaden – die Rede ist nicht von dem im gleichnamigen Musical von Wolfgang Ambros besungenen „Watzmann“. Vielmehr geht es rund 500 Kilometer weiter westlich um das 2970 Meter hohe Schilthorn im schweizerischen Berner Oberland und das damit untrennbar verbundene Inferno-Rennen. Das geht von 18. bis 21. Januar in seine 79. Auflage. Fast schon traditionell starten auch einige Sportler aus der Teckregion beim längsten und härtesten Jedermann-Abfahrtsskirennen der Welt, dessen Teilnehmerzahl auf 1850 begrenzt ist und, so der Veranstalter, noch eine fast gleiche Zahl an abgewiesenen Anmeldungen zu Buche stehe.

Für die anstehende Ausgabe des Inferno-Rennens haben sich nicht weniger als elf lokale Rennläufer angemeldet. Die Neidlinger Farben vertreten heuer Alexander Amiri, Marius Fischer, Sebastian Stolz sowie Steffen Kuch. Aus Weilheim kommen Rainer Heilemann, Sebastian Liebler, Thomas Nussbaumer und Bernd Holl und aus Holzmaden Simon Fischer hinzu. Dazu gesellen sich noch Tim und Jürgen Taxis aus Albershausen.

Letzterer gilt mit seinen 59 Lenzen nicht nur als Senior des Teams, sondern auch als „Mutter der Kompanie“. Jürgen Taxis war es auch, der 2015 die Gruppe organisatorisch einte, als er alle Teilnehmer zur SG Stern Stuttgart – einem offenen Sportverein eines Untertürkheimer Automobilherstellers, bei dem er als Sportwart für Wintersport agiert – lotste. Seither unterstützt der Verein die Ski-Asse mit Fahrzeugen, Verbrauchsmaterial und der Zahlung der Nenngelder. Bei aller Semi-Professionalität, die die Gruppe mittlerweile an den Tag legt, denkt man aber immer wieder gerne an die Ursprünge zurück: „Rainer Dosch und Michael Fauser waren zu Beginn die treibenden Kräfte, begleiteten die Rennen und machten sie in der Teck-Region bekannt“, weiß Alex Amiri, der nach einer fünfjährigen Auszeit 2020 wieder ins Inferno-Geschehen eingestiegen war.

Über 50 Paar Ski werden gebraucht

Bereits eine Woche vor Rennbeginn setzt sich der Renntross in Richtung Mürren in Bewegung. Es gilt Gepäck, Verpflegung und Ausrüstung im Fahrzeug zu transportieren und kurz vor dem Ziel in der Materialseilbahn zu verstauen. Bernd Holl, Inhaber des gleichnamigen Sportgeschäfts in Weilheim, rechnet hoch: „Jeder hat seine eigenen Ski für Langlauf, Riesenslalom und Abfahrt dabei. Dazu kommen noch die ‚Poolski‘. Das macht insgesamt locker über 50 Paar.“

Die „Poolski“ besorgt Bernd Holl über seine guten Kontakte zu den Herstellern und stehen den Teilnehmern, je nach Neigung und Anforderung, zur Verfügung: Schließlich muss der Ski zum Fahrstil und den Schneeverhältnissen passen. Die werden gleichfalls professionell ausgelotet: Am Vortag des Abfahrtsrennens werden Schneeproben genommen und ausgewertet. Dementsprechend wird das „richtige“ Wachs aufgebracht, das den Ski passend zur Schneequalität schnell machen soll.

Das Programm der Gruppe sieht im Vorfeld des Abfahrtsrennens straff aus: Nach dem Bezug des Selbstversorger-Hauses geht es am Tag nach der Anreise ins benachbarte Wengen, wo kurz zuvor die Lauberhorn-Abfahrt über die Bühne gegangen sein wird. In den folgenden Tagen stehen dann Trainingsfahrten in Mürren an, ehe am Mittwoch für sieben der elf Sportler mit dem Nacht-Langlauf der Einstieg in die Kombination erfolgt. Respekt haben die Akteure dabei vor allem vor dem sogenannten „Palace-Run“, einer 200 Meter langen Bergauf-Strecke, die stetig steiler wird und dreimal per Skating zu bezwingen ist.

Am Donnerstag steht dann für die Kombinierer noch der Riesenslalom an – quasi als Appetitanreger für das Rennen am Samstag, bei dem sich dann im Starterfeld schnell die Spreu vom Weizen trennt. „Je kleiner die Startnummer, desto früher der Start und desto besser die Strecke“, klärt Jürgen Taxis auf, der mit weit über 30 Skitagen pro Saison die meisten Kilometer abspult und auch schon als Volunteer bei Weltcuprennen im Einsatz war. Für die Startnummernvergabe muss man sich in Mürren „hocharbeiten“. Das beste persönliche Ergebnis der letzten drei Jahre bestimmt die Startgruppe, innerhalb der dann eine Auslosung erfolgt. Ausgenommen davon sind lediglich die Top-30-Platzierten des Vorjahres und mehr oder weniger prominente Teilnehmer, wie die ehemalige Weltcup-Fahrerin Chemmy Alcott (GB), ihr österreichischer Kollege Josef „Pepi“ Strobl oder der ehemalige britische Formel-1-Pilot Damon Hill, die zwar die höchsten Startnummern tragen, jedoch als Erstes starten dürfen – noblesse oblige …

Bei der Truppe der SG Stern herrscht hingegen eine hohe Homogenität: Im vergangenen Jahr waren mit Simon Fischer (8.04,19 Minuten), Bernd Holl, (8.13,93), Rainer Heilemann (8.14,30) und Sebastian Liebler (8.14,50) gleich vier Fahrer innerhalb von nur zehn Sekunden – und damit nur rund eine Minute über der Bestzeit des Siegers Alexander Zöschg aus Südtirol (7.13,01). Ob am Ende die komplette Strecke von 14,9 Kilometern oder, wie im letzten Jahr, die verkürzte Route mit 9,5 Kilometer gefahren wird, entscheidet kurzfristig die zum Rennzeitpunkt aktuelle Schneelage.

Für die „Stern-Fahrer“ gilt heuer das fußballerische Motto „Elf Freunde sollt ihr sein“: Trotz allen sportlichen Ehrgeizes und interner Wettkämpfe steht schon aufgrund von Stürzen in der Vergangenheit die Sicherheit im Vordergrund. Thomas Nussbaumer (53), einer der erfahrensten Inferno-Fahrer der Gruppe, bringt es auf den Punkt: „Wir sind glücklich, wenn alle gut und gesund im Ziel angekommen sind.“ Es ist ein Credo, das auch Jürgen Taxis sofort unterschreibt. Schließlich hat sich der Senior der Truppe augenzwinkernd zum Ziel gesetzt, auch das 100. Inferno-Rennen noch mitzuerleben – das wäre nach heutigem Stand dann im Jahr 2044.

Wie eine britische Erfindung zum Dauerbrenner wurde

Beinahe 100 Jahre ist es her, dass in Mürren der „Kandahar-Skiclub“ gegründet und ein paar Jahre später ein damals sogenanntes „Abfahrtsrennen mit Cross-Country-Charakter“ aus der Taufe gehoben wurde. Wer hat’s erfunden? Nicht die heimischen Schweizer, sondern Briten, die sich das malerische Dorf auf dem Hochplateau unterhalb des fast 3000 Meter hohen Schilthorns als sportliche Wahlheimat ausgesucht hatten.
Sir Arnold Lunn, der später als Erfinder der Alpinen Kombination in die Sport-Geschichtsbücher eingehen sollte, war als junger Vertreter des väterlichen englischen Reisebüros mit Dienstsitz im Berner Oberland federführend an der Organisation des ersten Rennens 1928 beteiligt. Zuvor hatte er bereits Regeln für Abfahrt, Slalom und Kombination aufgestellt, die später vom Weltverband Fis übernommen wurden. Am 29. Januar 1928 ging das erste Inferno-Rennen mit 17 Teilnehmern, darunter vier Frauen, über die Bühne.
Startpunkt des Rennens war und ist von Beginn an das Schilthorn, jener knapp 3000 Meter hohe Berg inmitten der Mönch-Eiger-Jungfrau-Region.
Die Strecke vom Schilthorn bis zur Talstation der Seilbahn Lauterbrunnen-Grütschalp auf 800 Metern Seehöhe war in den ersten Jahren, die immer mal wieder aus Witterungs-, Organisations- oder Kriegsgründen unterbrochen wurden, zwölf bis 13 Kilometer lang, weil es noch keine Pistenvorgabe gab. Zur Verhinderung von Unfällen, zur Einhaltung des Naturschutzes und um gleiche Bedingungen für alle Teilnehmer zu schaffen, wurde die Strecke in der Neuzeit markiert und mit Pflichttoren versehen, die es zu durchfahren gilt. Seit der Einführung der Chip-Technologie, bei der an jeder Startnummer ein Transponder zur Zeiterfassung angebracht ist, fungieren einige Tore auch als Zwischenzeitmessung.
72 Minuten benötigte der Sieger Harold Mitchell 1928 für die Fahrt bis zum Ziel in Lauterbrunnen. Wer heute im vorderen Drittel des Klassements landen will, sollte für die 14,9 Kilometer deutlich weniger als 14 Zeigerumdrehungen auf der Uhr haben. Für die häufig aus Schneemangel auf 9,5 Kilometer verkürzte Strecke bis Winteregg benötigen die Sieger um die sieben Minuten. Allerdings muss man den früheren Rennläufern zugutehalten, dass der Aufstieg vor dem Start vom Allmendhubel bis zum Starthäuschen bis Mitte der 1960er-Jahre mangels Seilbahn in fünf Stunden zu Fuß erfolgen musste.
Beeindruckend ist bis heute die Anreise zum Startpunkt in Mürren. Der kleine Ort liegt auf einem Hochplateau und ist autofrei. Sämtliche Materialien und Güter werden per Materialseilbahn ins Dorf gebracht und dort mit Elektrokarren oder mit Muskelkraft verteilt. Auch die Touristen und Rennläufer kommen nur per Seilbahn über zwei lange Seilbahnsektionen in den Ort und über zwei weitere zum Piz Gloria.
Wurde in den Anfangsjahren des Rennens noch per Massenstart vom Gipfelhaus aus gestartet, befindet sich das Starthäuschen mittlerweile auf halber Strecke zwischen dem Piz Gloria und der Seilbahnstation Birg auf rund 2800 Metern. Bis zum schneesicheren Ziel in Winteregg gilt es 9,5 Kilometer und über 1200 Höhenmeter hinter sich zu bringen. Gestartet wird chipkontrolliert im Abstand von zwölf Sekunden, wobei überholen und überholt werden bei 1850 Teilnehmern immer noch völlig normal, wenngleich auch nicht immer ungefährlich ist. Schließlich ist die Strecke an manchen Stellen mit über 70 Prozent Gefälle nicht nur extrem steil, sondern auch nur knapp zwei Meter breit.
1985 wurde zur Abrundung des Wettbewerbs die „Super-Kombination“ eingeführt, die am Mittwoch einen sechs Kilometer langen Nacht-Langlauf durch den Ort und am Donnerstag einen Riesenslalom vorsieht, bevor am Samstag die Abfahrt auf dem Programm steht. Dass die Schweizer auch für das entsprechende Rahmenprogramm sorgen, versteht sich von selbst. Neben dem all­abendlichen Festbetrieb steht dabei ein Umzug inklusive Teufelsverbrennung am Freitag im Mittelpunkt. wai