Lokalsport
Experten nehmen Eltern in die Pflicht

Breitensport Dass sich knapp 80 Prozent der Kinder in Deutschland zu wenig bewegen, liegt laut einer Studie nicht zuletzt an mangelnden Vorbildern. Von Peter Eidemüller

Immer in Bewegung bleiben - für Uli Zeeh aus Dettingen keine abgedroschene Floskel, sondern fester Bestandteil der Erziehung. Der Vater von zwei Söhnen legt gemeinsam mit seiner Frau Meike viel Wert darauf, dass der Nachwuchs aktiv ist. Nicht nur, dass die sieben- und sechsjährigen Jungs im Verein Fußball spielen - im Hause Zeeh wird der Spaß an gemeinsamer Bewegung auch abseits des Rasens großgeschrieben. Und das nicht erst seit Corona „Wir sind draußen aktiv, egal, bei welchem Wetter“, berichtet der 37-Jährige von gemeinsamen Wanderungen, Joggingrunden oder selbst gestalteten Fitnessparcours im Garten. „Man muss Sport als Familienerlebnis begreifen“, betont Uli Zeeh, der jedoch weiß: „Wenn man das als Eltern nicht vorlebt, klappt es nicht.“

Genau dies ist allerdings einer der Hauptgründe für die alarmierenden Ergebnisse, die der vierte Kinder- und Jugendsportbericht zutage gefördert hat. Dass sich rund 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu wenig bewegen, führen Experten unter anderem auch auf mangelnde Vorbilder zurück. „Sport und Bewegung von Kindern ist weniger eine Frage des Wollens und Könnens, sondern eher eine Frage der elterlichen Erziehung und Prägung“, stellt der Leiter des Herausgeberteams des Kinder- und Jugendsportberichts, Professor Christoph Breuer von der Sporthochschule Köln fest.

Besonders fatal ist dies bei Familien, in denen die Verantwortung für Bewegungserziehung an Schule und Verein weitergereicht wird - unabhängig davon, ob aus beruflichem Zeitmangel, persönlichem Unvermögen oder sonstigen Gründen, bleibt das Ergebnis das gleiche: „Bewegungsmangel, Probleme mit der Motorik und Übergewicht sind Dinge, die in Zukunft hohe Kosten für unser Gesundheitssystem bedeuten“, glaubt der jugendpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Andreas Kenner. Der langjährige Kirchheimer Stadtrat fürchtet, dass sich diese negative Entwicklung vor dem Hintergrund der Coronakrise noch beschleunigt: „Am härtesten trifft es jetzt die Familien, die in beengten Wohnungen leben, keinen Garten haben und auch nicht irgendwo im Grünen wohnen, sondern mitten in der Stadt.“

Um diese vermeintlich abgeschnittenen Menschen zu erreichen, hat die grün-schwarze Landesregierung nach der ersten Coronawelle im Frühjahr das digitale Angebot „Mach mit - bleib fit“ installiert, bei dem Kinder zu Hause unter der Anleitung einer professionellen Lehrkraft Sport treiben können. „Das ist gesund und hilft Körper und Geist gerade in Zeiten des Coronavirus, in denen alle zu Hause bleiben sollen“, verweist der Kirchheimer CDU-Landtagsabgeordnete Karl Zimmermann auf die Internetseite des Kultusministeriums. Im gleichen Atemzug betont er aber auch die Verantwortung der Eltern. „Es bedarf generell mehr Bewegung des einzelnen Kindes im Freizeitbereich sowie einer gesünderen Ernährung. Hier haben Eltern eine Fürsorgepflicht und einen Vorbildcharakter, auch im Vergleich zur Situation vor Corona“, so Zimmermann.

Diese Forderung gewinnt vor dem Hintergrund des bis Ende des Monats ausgesetzten Vereinssports noch größere Bedeutung. „Ganz unabhängig von der derzeitigen Pandemiesituation sollen Kinder und Jugendliche sich auch jenseits des Vereinssports bewegen“, betont der dritte Kirchheimer Landtagsabgeordnete, Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz, der dabei vor allem für niederschwellige Formen wirbt: „Mit dem Rad oder zu Fuß zur Schule kommen, in den Pausen und am Nachmittag draußen toben und am Wochenende mit den Eltern im Freien unterwegs sein - all das ist wichtig.“

Ob es allerdings auch genug ist? Experten wie Sportökonom Christoph Breuer fürchten im Zuge des Sport-Lockdowns die Folgen nicht stattfindender Angebote im Verein. „Dort finden Kinder Motivation, Selbstbestätigung und Zufriedenheit“, sagt Breuer, „all das wird nun wegfallen oder stark eingeschränkt.“

Es sei denn, man versucht, so gut es geht für Ersatz zu sorgen - so wie Uli Zeeh. Als F-Jugendtrainer der Nachwuchskicker bei der SGM Dettingen/Owen will er seinen Schützlingen möglichst schnell Online-Challenges und Übungseinheiten per Internet anbieten. Ob er seine Kids nicht lieber auf dem Rasen begrüßen würde, statt am Bildschirm? „Fußballtraining wäre bestimmt irgendwie möglich gewesen“, sagt er „aber es bringt ja nichts, über den Lockdown zu schimpfen. Das ist nun mal der Beitrag, den jeder leisten muss, damit man das wieder in Griff bekommt.“