Das Objekt der Begierde befindet sich im verlängerten Winterschlaf. Geschützt vor Wind und Wetter steht das Boot des besten Teckregion-Seglers aktuell in einem Lager in Oberboihingen. Jener Stillstand: ein Sinnbild für ganz und gar ungewöhnliche Wassersport-Zeiten.
Wenn Jürgen Hülß die aktuelle Lage im Segeln beschreibt, benutzt der Kirchheimer ein Wort, welches in Pandemiezeiten vielen Aktiven rasch über die Lippen kommt. „Katastrophal“, sei die Situation national wie international, lautet die Einschätzung des dreifachen Weltmeisterschaftsteilnehmers plus vierfachen Europameisterschaftstarters in der Shark-24-Klasse. „Alle wichtigen Regatten sind entweder abgesagt oder auf den Herbst verschoben“, berichtet der Vorsitzender des Yachtclub unter Teck. Regatten mit teils bis zu 300 Booten.
Ungeschoren sind deutschlandweit somit selbst Seglerinnen und Segler nicht durch Corona-Zeiten gekommen - was manchen wegen des Freiluftcharakters der Sportart überraschen mag. Doch mehr als alle Personen aus dem eigenen Haushalt plus einer weiteren externen Person dürfen seit Monaten nicht an Bord. Die Corona-Bestimmungen treffen die Wassersportler mit Wucht.
Die Folgen? Drastisch. Selbst das Ansegeln auf dem Bodensee am vergangenen Wochenende fiel sprichwörtlich ins Wasser. „Törns und Regatten gehören eigentlich zum Saisonstart dazu“, hadert Mona Küppers, die als engagierte Präsidentin des Deutschen Seglerverbandes (DSV) den Ruhepol für die darbenden Sportlerinnen und Sportler darstellt. „In Geduld fassen und Zähne zusammenbeißen“, lautet ihre Empfehlung. Das Präsidium des DSV hatte am 22. April beschlossen, auch im Mai 2021 alle anstehenden Wettfahrten zu (internationalen) Deutschen Meisterschaften aufgrund der aktuellen Pandemie-Lage auszusetzen.
Jürgen Hülß muss derweil als Chef des hiesigen Yachtclubs über 500 Mitglieder bei Laune halten. Was offenbar besser glückt als befürchtet. 29 Interessenten hätten sich allein in den vergangenen Monaten gemeldet. „Sehr erfreulich“, nennt dies der Vereinsvorsitzende, sieht den Trend als Mut machend an. Ein maßgeblicher Vorteil: Weil die Segelausbildung in den Corona-Bestimmungen genauso wie Fahr- oder Flugschulen betrachtet werde, sei Übungsbetrieb unter strengen Hygienestandards erlaubt. An bedeutende Wettfahrten mag allerdings Jürgen Hülß, oftmals zusammen mit Tochter Ina und Sohn Christian bei der Kirchheimer Sportlerehrung für nationale wie internationale Erfolge ausgezeichnet, noch gar nicht denken.
Zumal die Situation trotz jüngst sinkender Zahlen angespannt bleibe und sich selbst auf regionaler Ebene immer wieder neue Problemstellungen ergeben würden. Wie jüngst die Frage, ob Vereinsmitglieder auf ihrem Boot im Heimathafen in Kressbronn-Gohren trotz der geltenden Ausgangsbeschränkungen übernachten dürften. Bis vor zwei Wochen mussten die Seglerinnen und Segler am Bodensee nach Tagestouren wieder heim. Dann intervenierten die Klubs erfolgreich bei Landrat Lothar Wölfle. Nun wird das Boot sinngemäß zur Wohnung, die jedoch nachts nicht verlassen werden darf. Ein von Pragmatismus geprägter Kompromiss, der zumindest einen kleinen Schritt nach vorne bringt.
In der segelaffinen Familie Hülß kann in diesen Zeiten lediglich Sohn Christian noch mehr Freiheiten genießen. Studienbedingt aktuell im britischen Southampton lebend, genießt er Lockerungen. „Er kann an Regatten teilnehmen“, berichtet Vater Jürgen. Im Juni will der Junior dann nach Deutschland zurückkehren - im Idealfall zu einer Zeit, in der es auch in Deutschland wieder etwas mehr Freiheiten im Segelsport gibt.
Renntermin Anfang Oktober
Hoffnung macht da ein Termin im Herbst: Vom 1. bis 3. Oktober nimmt der Yachtclub am Deutschen Company Cup in der Flensburger Förde teil. Dafür hat der Verein eine Regattayacht mit 36 Fuss Länge gechartert. „Vor die Regatta setzen wir noch fünf Tage Training und Überführung des Schiffes von Heiligenhafen nach Flensburg“, so Jürgen Hülß.