Lokalsport

Henn gibt den Ahnungslosen

Schumacher-Prozess: Der sportliche Leiter im Team Gerolsteiner streitet alles Dopingwissen ab

Christian Henn hat seinem früheren Chef Hans-Michael Holczer den Rücken gestärkt. Der sportliche Leiter des Team Gerolsteiner will von Doping in der Mannschaft nichts gewusst haben. Anders als Holczer gab der Ex-Profi am dritten Verhandlungstag im Schumacher-Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht allerdings eine äußerst schlechte Figur ab.

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ARCHIV - Teamchef Hans-Michael Holczer (r) und der Sportliche Leiter Christian Henn (l) vom Team Gerolsteiner freuen sich beim offiziellen Empfang am 28.07.2008 in Gerolstein (Eifel). Doping war im Team Gerolsteiner nach Angaben des ehemaligen Sportlichen Leiters Christian Henn «kein Thema». Vor dem Landgericht Stuttgart sagte der 49-Jährige am Dienstag im Rahmen seiner Aussage im Betrugsprozess gegen den Radprofi Stefan Schumacher: «Über Doping wird in jedem Sport wahrscheinlich gesprochen, aber Doping war kein Thema.» Henn gab an, er habe weder den Verdacht gehabt, dass Fahrer im Team gegen Dopingregeln verstoßen, noch habe er sich mit jemandem über leistungssteigernde Methoden unterhalten. Foto: Harald Tittel/dpa (zu dpa 0515 vom 23.04.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Stuttgart. „Herr Holczer soll endlich dem Beispiel Stefan Schumachers folgen und die Wahrheit sagen.“ Verteidiger Michael Lehner gab sich gestern Abend nach einem siebenstündigen Verhandlungs-Marathon vor der 16. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts angriffslustig und siegessicher. Dass die Schumacher-Seite den dritten Tag im Betrugsprozess gegen den Nürtinger Radprofi als Teilerfolg verbuchte, lag auch am denkwürdigen Auftritt Christian Henns am Vormittag.

Braungebrannt, mit angespannter Körperhaltung und nervösem Blick saß der 49-Jährige im Zeugenstuhl vor der Richterbank und wiederholte monoton die immer gleichen Antworten: „Weiß ich nicht, daran erinnere ich mich nicht mehr, davon habe ich keine Ahnung.“ Weshalb mit eigens dafür angeschafften Blut-Zentrifugen der Hämatokritwert der Fahrer überwacht worden ist, konnte Henn ebenso wenig erklären wie er bestätigen wollte, dass zwischen ihm und Schumacher am Rande der deutschen Meisterschaft 2006 in Klingenthal ein Gespräch über die bestmögliche Dosierung von Synacthen stattgefunden hat. Schumacher jedenfalls behauptet dies.

Den Namen Cera, jener Wirkstoff, auf den Stefan Schumacher am 9. Juli 2008 während der Tour de France zum ersten Mal positiv getestet wurde und den er bereits im April von einem Teamarzt erhalten haben will, habe er am 17. Juli gleichen Jahres zum ersten Mal gehört, behauptet Henn. An jenem Tag, als der Italiener Riccardo Ricco als erster Cera-Sünder verhaftet und bekannt wurde, dass der Stoff nachweisbar ist. Holczer, der ebenfalls behauptet, von Cera vorher nie etwas gehört zu haben, mag man das noch abnehmen. Bei Henn tut man sich schwer. Schließlich hat der ehemalige Telekom-Profi, der 2007 ein umfangreiches Geständnis ablegte und nach eigenen Worten seit 1994 systematisch mit Epo gedopt hat, in seiner aktiven Karriere schon fast alles ausprobiert, was der Markt hergibt. Synacthen kennt Henn aus eigener Erfahrung. 1999 wurde er positiv auf Testosteron getestet. Auch Nitrolingual, von dem Schumacher behauptet, es sei als finaler Kick in der Endphase des Rennens vom Begleitfahrzeug aus verabreicht worden, beteuerte Henn zunächst, nicht zu kennen. Erst bei der Kurzbezeichnung „Nitro“ lenkte er ein: „Das haben die im Finale genommen.“

Henns Aussagen und die seines früheren Teamchefs deckten sich nicht immer. Dies, obwohl sich beide während einer Pause zwischen den beiden Vernehmungen im Gerichtsgebäude rege ausgetauscht hatten und Holczer von weiteren „Informanten“ profitierte, wie er gegenüber der Verteidigung einräumen musste. „Ein klassisches Eigentor“, stellte Lehner nach Verhandlungsende fest. Am ersten Tag hatten Holczers Ehefrau und Fahrer Sven Krauß den Prozess verfolgt, gestern bekam Holczer Einblick in schriftliche Aufzeichnungen eines unbekannten Zuhörers während der Vernehmung von Christian Henn. Die waren wohl lückenhaft, denn Henn hatte am Morgen beteuert: „Doping war nie ein Thema in der Mannschaft.“ Holczer dagegen erklärte am Nachmittag, es sei immer offen über das Thema Doping diskutiert worden. Allerdings aus einem anderen Grund: „Ich habe immer klar zum Ausdruck gebracht, dass es eine Gefahr für diesen Sport ist.“

Auch was den 17. Juli 2008 anbelangt, jenem Tag, an dem Holczer vom Tour-Veranstalter einen Anruf erhielt, mit dem Hinweis, dass mit Schumachers Verhalten etwas nicht stimme, gehen die Schilderungen auseinander. Holczer will nach der teaminternen Vernehmung Schumachers im Hotel in Narbonne nach Mitternacht noch einmal mit Henn über den Fall gesprochen haben. Der streitet dies jedoch ab. Schumacher selbst stellte Henn während der Vernehmung gestern zur Rede, warf dem Heidelberger, der 1988 Olympia-Bronze in Seoul gewann, vor, „Unsinn zu reden.“ Dabei schilderte der Nürtinger eine Situation, in der am Rande der Deutschlandtour 2006 einem Fahrer auf dem Hotelzimmer Synacthen verabreicht worden sei. Schumacher nannte in diesem Zusammenhang zum ersten Mal den Namen des betreffenden Arztes. Welche Rolle die Teamärzte spielten und wer über den Inhalt der Metallkoffer Bescheid wusste, in denen die Betreuer Medikamente transportierten, ist die spannende Frage. Holczer streitet dies jedenfalls ab. Er habe den Inhalt ein paarmal mit Positiv-Listen verglichen, die Behörden in Frankreich vorgeben. „Ich kenne mich damit ja nicht aus.“

Vier Teamärzte für 26 Fahrer standen dem Team Gerolsteiner pro Saison in der Regel zur Verfügung. Bis auf einen russischen Mediziner, der fest angestellt war, allesamt freiberufliche Vertragsärzte. Frei von Zweifeln sind sie alle nicht: Ernst Jakob, der Kopf des Ärzteteams musste 2008 vor dem Vorstand des Sponsors Gerolsteiner eine Erklärung zu seiner Freiburger Vergangenheit abgeben, was ihm offenbar glaubhaft gelang. Jakob betreute zudem, wie auch sein Passauer Kollege Armin Spechter, zuvor bei den Teams Coast und Bianchi den in die Fuentes-Affäre verwickelten Jan Ullrich. Der Italiener Giuliano Peruzzi, den Gerolsteiner 2002 im Paket mit dem überführten Cera-Sünder Davide Rebellin verpflichtete, war in die Polizei-Razzia beim Giro 2001 verwickelt.

Und dann ist da noch Mark Schmidt. Der Erfurter Teamarzt, den Holczer als „größte Enttäuschung“ bezeichnet, wurde von Schumacher schwer belastet und verweigert bisher die Aussage. Wie man mit Schmidt juristisch weiter verfährt, ist die große Frage. Michael Lehner jedenfalls hat Schmidt als Zeugen noch nicht abgeschrieben: „Warten wir‘s ab. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“