Lokalsport
Jannik Steimle hat genug vom Verletzungspech

Radsport Der Vertrag des Weilheimer Profis bei Quick-Step läuft nach der neuen Saison aus. Nach zwei Jahren mit Sturzpech will er endlich beweisen, was in ihm steckt. Von Bernd Köble

Satte 18 Grad an Silvester. Da greifen hartgesottene Freizeitradler in ihrer Garderobe schon mal nach „Kurz-kurz“ und freuen sich über einen ersten Vorgeschmack auf das, was bald kommt. Wenn Jannik Steimle dieser Tage daheim aufs Rennrad steigt, trägt er eine Extra-Lage Textil auf der Haut. Australischen Sommer im Dezember am Albtrauf simulieren – ein Experiment, das eigentlich zum Scheitern verurteilt ist. Einem Radprofi, für den die Saison im Januar in den Subtropen beginnt, bleibt dennoch keine andere Wahl. Für Jannik Steimle fällt am 17. Januar mit der sechstägigen Tour Down Under der Startschuss. Für eine Saison, von der er hofft, dass sie zum Jahr der Wahrheit wird.

Es geht nicht nur um Geld und Konditionen. 2023 geht es für ihn vor allem darum, das wahre Leistungsvermögen endlich auf die Straße zu bringen. Ohne Knochenbrüche, ohne schwere Unfälle, mit einer kontrollierten Trainingssteuerung und einem einigermaßen planmäßigen Formverlauf. Seit er im Trikot von Quick-Step im Rennsattel sitzt, gab es all das nur selten. 2021 erwischte es ihn am härtesten, als nach seinem Sturz in Nokere mit mehreren Knochenbrüchen die Saison schon im März unterbrochen war. Im Jahr darauf zertrümmerte er sich Anfang August bei einem Massensturz im spanischen Burgos das Schlüsselbein. Ende 2023 läuft sein Vertrag beim belgischen Rennstall aus. Zukunftssorgen? „Die mache ich mir nicht“, sagt Steimle.

 

Mein Bestes geben und schauen, was im Sommer auf dem Tisch liegt.“
Jannik Steimle
Der Weilheimer zu den Vertragsverhandlungen mit Quick-Step
 

Seine Berufsauffassung und sein Durchhaltevermögen haben ihm Respekt verschafft. In einem der besten Teams der Worldtour, das sich mit dem neuen Weltmeister Remco Evenepoel und seinem Vorgänger Julian Alaphilippe um zwei Ausnahmekönner gruppiert. Steimle fühlt sich stark und selbstbewusst genug, um im neuen Jahr die neuen Freiheiten, die er sich nach zwei Comebacks erkämpft hat, auch zu nutzen. Letztlich weiß auch Teamchef Patrick Lefevere, Kampfgeist und Leidensfähigkeit seiner schwäbischen Zugmaschine, die hier alle nur den „Büffel“ nennen, zu schätzen. Bereits im Februar hat der 67-jährige Boss der Mannschaft den Weg in die Zukunft ausgeleuchtet. Der Vertrag mit dem neuen Sponsor Soudal, der vom Landesrivalen Lotto übergewechselt ist, schafft für die nächsten fünf Jahre wirtschaftliche Sicherheit.

In der Weltrangliste Dritter

Sportlich ist noch Luft nach oben. Die ganz großen Erfolge kamen für Quick-Step ungewohnt spät im Jahr mit dem Gesamtsieg bei der Vuelta und dem WM-Titel in Australien. Am Ende einer Saison, die von Jumbo-Visma dominiert wurde, sind die Belgier als langjähriger Branchenführer in der Weltrangliste plötzlich auf Platz sechs abgerutscht. Das soll sich 2023 wieder ändern. Zwar ist mit Altmeister Marc Cavendish eine Sprintlegende zu Astana gewechselt. Dafür rückt mit dem belgischen Meister Tim Merlier (Alpecin Fenix) ein weiterer Topsprinter an die Seite von Fabio Jakobsen.

Dicke Winterkleidung unter spanischer Sonne, High-Intensity-Training in gut beheizten Räumen und Hitzesensoren am Körper, die alle Reaktionen minutiös aufzeichnen – im Trainingslager vor Weihnachten wurde viel gearbeitet gegen „die Wand“, die schon am 3. Januar wartet, wenn die Fahrer im südaustralischen Adelaide aus dem Flugzeug steigen. Dabei ist für Jannik Steimle der Rennauftakt Down under buchstäblich Aufwärmprogramm. Am 25. Februar wird es ernst. Dann fällt mit Omloop Het Nieuwsblad und Kuurne-Brüssel-Kuurne am selben Wochenende der Startschuss für die lange Reihe der eintägigen Frühjahrsklassiker bis Ende April.

Für den Weilheimer heißt das: auf den Punkt hin fit zu sein. Anders als im Vorjahr, als er bei der Flandern-Rundfahrt und anschließend bei Paris-Roubaix zwar eine achtbare Premiere feierte, dabei jedoch seinen Leistungszenit, wie er sagt, schon Ende Februar überschritten hatte. Bei beiden Rennen wartet Anfang April die nächste Chance auf ihn. Zuvor wird er am 27. März beim flämischen Klassiker Gent-Welvegem sein Debüt geben. Das emotionale Finale der Halbserie steigt dann Ende Juni mit den Deutschen Meisterschaften in Donaueschingen.

Bald Schluss mit der Helferrolle?

Besondere Anforderungen bedürfen besonderer Vorbereitung. Deshalb ist für ihn und die Klassiker-Spezialisten in der Mannschaft früh wieder Rennpause. Während Teile des Teams von Australien zur ersten bedeutenden Rundfahrt in Europa an die portugiesische Algarveküste weiterreisen, geht es für Steimle und seine Mitstreiter im Februar in ein 18-tägiges Höhentrainingslager nach Spanien.

Alles für den einen Moment: Den Tag, an dem die Beine passen, es keine Stallorder mehr gibt und die Ampel auf Grün springt. In diesem Frühjahr war er seinem Teamkollegen Kasper Asgreen – dem Titelverteidiger bei der Flandern-Rundfahrt – als Bewacher zur Seite gestellt. Irgendwann soll Schluss sein mit der Helferrolle. Vor dem Tour-Start im Juni beginnen traditionell die Vertragsverhandlungen. Steimles Motto: „Mein Bestes geben und schauen, was im Sommer auf dem Tisch liegt.“

 

Hochzeitspläne für 2024

Eigentlich ist Jannik Steimle ein Typ mit Bodenhaftung. Diesen Herbst ist er trotzdem abgehoben. Über den Wolken muss die Liebe wohl grenzenlos sein, auch wenn es gar keine Wolken gibt. Nach einer Ballonfahrt am Himmel über Dubai hat er Ende Oktober seine Verlobung mit Partnerin Lara Lochmann verkündet, mit der er in Schorndorf Leben und Wohnung teilt. Beider Hochzeit ist für 2024 geplant. „Wir wollen uns in Ruhe Zeit lassen, um einen passenden Ort und Termin zu finden,“ sagt er. Keine ganz leichte Aufgabe bei 70 Renntagen im Schnitt pro Jahr. bk