Lokalsport
Jannik Steimle: Vom Backofen in die Druckkabine

Radsport Die australische Südküste ist für Jannik Steimle am Sonntag letzte Rennstation, bevor es Anfang Februar ins Trainingslager nach Spanien geht. Dort wartet ein ungewöhnliches Programm auf die Fahrer. Von Bernd Köble

Flanke von rechts, kurze Annahme und den Ball per Dropkick unhaltbar im langen Eck versenkt. Wenn Torjubel durch den Hotelflur brandet, ist das Geschirr vom Abendessen längst abgeräumt. Zeit für Fifa 23. Wie bei so vielen Sportlern geht es auch bei den Fahrern von Soudal Quick-Step nicht ohne Spielkonsole, die Abwechslung von einem Alltag fernab von daheim verspricht. Wir sind per Face­time Jannik Steimle zugeschaltet. Im Hotel in Geelong, eine Autostunde südwestlich von Mel­bourne, ist die Lage nach einem ausgefüllten Trainingstag ent­spannt. Während Steimles Teamkollegen im Hintergrund mit viel Spaß und reichlich Radau den virtuellen Fußball-Weltmeister küren, geht beim Weilheimer der Blick Richtung Sonntag, wenn um kurz nach 11 Uhr Ortszeit mit dem Cadel Evans Great Ocean Road Race die letzte Rennprüfung im australischen Sommer wartet.

Das Nomadenleben will gelernt sein. Bei den Fahrern trägt gezielte Ablenkung durchaus zum Erfolg bei. Während daheim der Wolkenvorhang schwer über dem verschneiten Albtrauf hängt, hat sich Steimle am Nachmittag nach getaner Arbeit aufs Surfbrett gewagt. Am Tag zuvor hat er feststellen müssen, dass sein Handicap beim Golf noch immer größer ist als seine Furcht vor dem Hochgebirge. Egal: „Wenn du sieben Wochen weg bist von daheim und immer nur dein Rad siehst, wird es irgendwann schwierig“, meint er.

 

Wenn du sieben Wochen weg bist und nur dein Rad siehst, wird es schwierig.
Jannik Steimle Der Radprofi über die Bedeutung von Ablenkung auf Reisen

Schwierig war auch die vergangene Woche für ihn, zumindest was die zweite Hälfte betrifft. Die Tour Down Under, die erste einwöchige Rundfahrt des Jahres, begann mit Platz acht im kurzen Prolog über 5,5 Kilometer. Danach war der Weilheimer mit Platz 14 bester Deutscher auf der ersten Etappe. Auf dem anspruchsvollen Restteil mit zahlreichen Bergen und fast 40 Grad im Schatten waren vor allem schweißtreibende Helferdienste für Teamkollege Mauro Schmid gefragt. Der Schweizer Rundfahrer bei Quick-Step hat die Tour schließlich als Fünfter der Gesamtwertung beendet. Das Team konnte einigermaßen zufrieden sein, Steimle war es ohnehin. Für ihn war entscheidend, zu sehen, dass der Formverlauf passt. „Für Januar ist das schon richtig gut“, sagt er.

Der Sonntag nun bietet buchstäblich ein Warm-up für das, was im Frühjahr kommt. Auf der Great Ocean Road, der vielleicht spektakulärsten Touristen-Route der Welt entlang der Tasmansee, wartet auf einer Schleife über 179 Kilometer ein lange Zeit flacher Kurs mit drei knackigen Anstiegen vor dem Ziel am Jachthafen in Geelong. Quick-Step hat mit dem Belgier Dries Devenyns den Titelverteidiger in seinen Reihen. Das Eintagesrennen, benannt nach dem australischen Toursieger von 2011, bietet durchaus einen Vorgeschmack auf die Frühjahrsklassiker und somit auch für Steimle ein willkommenes Testfeld. Die Klassikersaison in Frankreich und Belgien beginnt für ihn am 25. Februar mit Omloop Het Nieuwsblad. Bis zu den Highlights im April ist es noch lange hin. Für den 26-Jährigen heißt es deshalb, Kräfte schonen, die Form im Blick behalten, um möglichst auf dem Höhepunkt zu sein, wenn bei der Flandern-Rundfahrt oder bei Paris–Roubaix der Startschuss fällt.

Schlafen unterm Zeltdach

Ein Teil des Weges dorthin führt von Australien über die spanische Mittelmeerküste. Zwei Wochen lang ist das Teamquartier in Calpe Anfang Februar Stützpunkt für ein Programm der besonderen Art: ein Höhentrainingslager knapp über Meeresniveau. Während viele Teams die Berge Teneriffas oder die südspanische Sierra Nevada mit ihren Dreitausendern im Winter zum Höhentraining nutzen, wählen die Belgier diesmal einen anderen Weg. Das hügelige Hinterland der Costa Blanca bietet zwar kein alpines Klima, dafür deutlich mehr Vielfalt bei der Streckenwahl. Geschlafen wird dafür im Druckzelt auf einer simulierten Höhe von 2000 Metern. Ganz so nebenbei, wie es klingt, funktioniert das Ganze allerdings nicht. Weil sich der Effekt im Blutkreislauf des Körpers erst nach etwa neun Stunden einstellt, muss schon vor dem Zubettgehen einige Zeit unter der Zeltkuppel verbracht werden. Nicht ohne Playstation, Netflix und Co.