Lokalsport

Missglückter Torschuss führt zum Siebenmeter

Die neuen IHF-Handballregeln gelten seit dem 1. Juli und bewirken so manche gewöhnungsbedürftige Entscheidung

Der Hallenhandball geht neue Wege: Seit dem 1. Juli gelten veränderte Spiel-Regeln. Verschärfte Foul-Sanktionen gibt es in den letzten 30 Sekunden.

Kirchheim. Neue Regeln braucht die Welt – dachte sich der internationale Handball-Verband IHF und brütete für die Schiedsrichter in seinen über 160 Mitgliedsländern schon im Vorjahr neue Spielkonditionen aus. Heraus kam ein Regel-Update, das in Deutschland seit 1. Juli für sämtliche Spielklassen bis hinunter in die Kreisligen, sämtliche Turniere und sämtliche Freundschaftsspiele gilt. Spätestens zur Ligeneröffnung 2016/17 im September greifen die Regeln auf breiter Front. „Manche Regel ist für den Zuschauer gewöhnungsbedürftig“, sagt Stefan Denzinger, der oberste Lehrwart im Handballbezirk Esslingen/Teck. Mit fünf Mitarbeitern instruiert der Altbacher die Kreisschiedsrichter derzeit in dezentralen Schulungen.

Von den IHF-Änderungen ist die „Letzte 30 Sekunden“-Regel (welche die bisherige 1-Minute-Regel ersetzt) vielleicht die gravierendste: Unsportlichkeiten wie Klammern oder Halten zum Zwecke der Tor-Verhinderung werden in den 30 Schlusssekunden rigoros mit Siebenmeter bestraft – ganz egal, auf welchem Teil des Feldes der Tatort war. Wobei der Schiedsrichter allerdings kurz abwarten muss, ob der gefoulte Spieler (oder, nach Zuspiel, ein Mitspieler) nicht doch ein Tor erzielt – dann greift die Vorteils-Regel.

Just die Vorteils-Regel könnte in der kommenden Runde allerdings zu Spielszenen führen, die der gemeine Zuschauer fürs Erste als ungerecht empfindet. Denzinger: „Man stelle sich vor, eine Heimmannschaft geht 29:28 in Führung. Sekunden vor Schluss kommt das Gästeteam in der eigenen Hälfte in Ballbesitz, einer ihrer Spieler wird festgehalten, kann sich danach aber freimachen, läuft alleine auf das Tor zu. Er schießt, der Heim-Torwart pariert. Die Zuschauer klatschen Beifall, feiern den vermeintlichen Sieg ihrer Mannschaft. Doch was passiert? Tatsächlich ist das Spiel noch nicht entschieden. Denn laut der neuen Regel gibt es jetzt einen Siebenmeter-Strafwurf . . .“. Es ist das Recht der zweiten Chance, die die Neuregelung vorschreibt.

Auch Günther Scheuring, Handball-Schiedsrichter seit 40 Jahren, ist nicht von allen Details des neuen Regelwerks überzeugt. Besonders das neu definierte Passivspiel ärgert ihn: Nach dem Anzeigen des Passivspiels durch Schiedsrichter-Handzeichen sind der angreifenden Mannschaft bis zum Torschuss-Versuch noch maximal sechs Pässe erlaubt. „Was passiert aber, wenn nach jedem Pass gefoult und das Spiel immer wieder neu unterbrochen wird?“, fragt der 68-jährige Kirchheimer in seinem vorletzten Schiedsrichter-Jahr. Er glaubt, dass es „mit dieser Regelung jede Menge Zirkus in den Hallen geben wird“. Zumindest unter jenen Fans, die die neuen Regeln noch nicht kennen.

Bisher wurden in der letzten Spielminute unsportliches Verhalten oder schwerwiegende Fouls nach besonderen Vorschriften bestraft. Nun gilt die Härte-Regelung alleine für die letzten 30 Sekunden: Dort werden Delikte wie Halten, Zerren und Reissen zum Zwecke der Torverhinderung mit Siebenmeter-Strafwurf sanktioniert. Zuvor muss der Schiedsrichter allerdings abwarten, ob dem gefoulten Spieler (oder einem Mitspieler nach Zuspiel) direkt nach der Aktion ein Tor gelingt. Scheitert er in dieser Szene am Torwart oder schießt er vorbei, entscheidet der Schiedsrichter trotzdem auf Strafwurf – der Mannschaft wird eine zweite (Tor-)Chance eingeräumt. Der Foulspieler wird in beiden Fällen disqualifiziert.

Nachdem einer der beiden Schiedsrichter per Handzeichen das „Passive Spiel“ angedeutet hat, hat die angreifende Mannschaft noch maximal sechs Pässe zur Verfügung, um in eine Torwurfsituation zu gelangen. Erfolgt danach kein Torwurf, gibt es Freiwurf für die gegnerische Mannschaft. Die Feststellung der Anzahl der Pässe bleibt eine Tatsachenentscheidung der Schiedsrichter.

Die bisherige Möglichkeit, einen Torwart durch einen mit Überzieh-Leibchen gekennzeichneten Feldspieler zu ersetzen, bleibt bestehen. Zusätzlich ist es nun aber möglich, den Torwart durch einen siebten Feldspieler zu ersetzen, wobei der eigene Torraum aber nicht mehr betreten werden darf. Die Variante bringt den Vorteil, dass im Vergleich zu bisher schneller rückgewechselt werden kann.

Bislang war für die am Spiel beteiligten Mannschaften, Medien und Zuschauer nicht klar, ob Rote-Karten-Delikte (Hinausstellungen) mit weiteren Konsequenzen verbunden sind oder nicht. Neu ist: Zeigen die Schiedsrichter nach der roten Karte auch die blaue Karte, werden sie einen schriftlichen Bericht an das Sportgericht schreiben, das für weitere Massnahmen verantwortlich ist. Eine folgenlose Spiel-Disqualifikation wird weiterhin durch die rote Karte angezeigt; das Zeigen der blauen Karte im Anschluss dokumentiert, dass auf den Spieler ein Sportgerichts-Urteil und eine mögliche Sperre wartet.