Ein ungewöhnlich lauer Novembernachmittag am Parkplatz Hörnle. Unterhalb der Teck tummeln sich kurz vor Sonnenuntergang trotz prächtigen Panoramas nur noch eine Handvoll Spaziergänger. Die gemütlich Dasitzenden werden Sekunden später aus ihrer Besinnlichkeit erweckt. Vom Tal her kommend kreuzt plötzlich joggend Anton Klein auf - mit einem über 21 Kilo schweren Teil eines Baumstamms im Nacken. „Ein positiv Verrückter“ sei der 64-Jährige, sagt Sabine Wagner. Die Kirchheimerin begleitet den Senior bei jener Herbst-Trainingseinheit von Dettingen hinauf auf die Teck und zurück - und zeigt uneingeschränkten Respekt für den Trainingspartner. „Schon erstaunlich, wie er den Höhenunterschied von Dettingen hier hinauf mit dem schweren Baumstamm im Nacken gemeistert hat“, staunt sie.
„Sport hat bei mir stets eine große Rolle gespielt“ erinnert sich Klein, der seit wenigen Monaten in Rente ist - von Ski-Alpin über Hand- und Fußball bis hin zu Aikido reichte einst sein Repertoire. Mittlerweile stehe der Laufsport ganz oben auf der Prioritätenliste. Ein wenig stolz scheint der Dettinger mit dem Baumstamm im Kreuz schon zu sein, als Teckboten-Fotograf Markus Brändli die außergewöhnliche Trainingsszene am Hörnle festhält und die anwesenden Spaziergänger daraufhin neugierig fragen, ob Klein nun „in der Zeitung“ komme. „Ja“, sagt der durchtrainiert wirkende Senior lachend, gibt sich locker und unbeschwert.
Dabei hat Anton Klein, den alle nur Toni nennen, ein Schlüsselerlebnis hin zum Extremsport geführt. „2018 bekam ich die Diagnose über eine medizinisch nicht heilbare Krankheit“, sagt der Dettinger offen, Sport sei seitdem für ihn noch mehr in den Vordergrund gerückt. „Toni sieht immer das Positive“, bestätigt Sabine Wagner, ebenso wie der Extremläufer zur Gruppe „Too kul four skul“ gehörend, einer altersmäßig bunt gemischten Sport- und Freizeitgruppe aus der Teckregion. Deren Bandbreite bewegt sich von unspektakulären Wald- und Wiesenläufen über Triathlon bis hin zu Ultraläufen in hochalpinem Gelände. „Jeder Meter zählt, lautet unser Motto“, betont Teamchef Michael Fuchs.
Neben Kilometerfressen hat Anton Klein zudem seine Ernährung umgestellt, reduzierte Zucker und Fleisch. „Dies spiegelt sich in den medizinischen Untersuchungen positiv wieder“, schildert er ebenso erfreut wie erleichtert. Sein neuer Trend, mit Baumstamm im Nacken zu laufen, sei durch Zufall entstanden. „Anlass war der Weltrekordversuch meines Sportfreundes Mehmet Topyürek“, rekapituliert der Dettinger sein persönliches Highlight 2020. Am 31. Oktober absolvierte Klein in Heilbronn tatsächlich einen Marathonlauf mit Baumstamm in sechs Stunden und 20 Minuten, feierte im Ziel sich und vor allen Dingen seinen Kumpel. Topyürek ging im Sträflingskostüm („bald ist Halloween“) auf Weltrekordjagd im Baumstamm-Marathonlauf, knackte in 5,57 Stunden die Bestmarke. Die letzten Meter lief er barfuß („selbst mit gebrochenen Beinen wäre ich weitergelaufen“), trank ein Weizenbier und sprang danach in den Neckar. Extrovertierte Zeitgenossen wie Topyürek sind für Anton Klein Inspirations- wie Motivationsquelle. „Aufgeben ist für mich keine Option“, stellt der Dettinger klar.
Mit einem Baumstamm im Nacken durch die Teckregion zu laufen, scheint freilich nicht für alle erstrebenswert. „Ich habe es nicht vor“, kommentiert Sabine Wagner, die es in ihrer läuferischen Karriere bis zum Halbmarathon gebracht hat. Der Baumstamm bleibt auch an diesem Abend beim Senior, ehe die Trainierenden Richtung Teck entschwinden. Der eine trage des anderen Last - ein Motto, das zumindest für Anton Klein nicht gilt.
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