Vor wenigen Tagen feierte Susanne ihren 50. Geburtstag. Doch wenn sie genau in sich hineinhört, fühlt sie sich eigentlich ein paar Jahre älter. Waren früher lange Bergwanderungen oder Schneeschuh-Touren ein beliebter Zeitvertreib, reichen nach einer überstandener Covid-Erkrankung heute schon wenige hundert Meter. „Dann habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr“, erzählt sie.
Armin Brand, Übungsleiter im Sportvereinszentrum des VfL Kirchheim, kennt dieses Gesicht der Virus-Erkrankung. Als Experte für Rehasport weiß er über die Auswirkungen verschiedener Leiden Bescheid und hat sich seit der Pandemie speziell mit den Langzeitfolgen von Covid-19 beschäftigt. Mit der Wiedereröffnung des Studios vor Kurzem ist sein Post-Covid-Kurs gestartet, der sich an Menschen richtet, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben.
„Wir messen jetzt erstmal mit einem Pulsoximeter am Finger eure Sauerstoffsättigung“, sagt der Kursleiter und geht reihum. „97 bis 100 Prozent sind top. Wer schlechter ist als 92, sollte lieber zum Arzt“, erklärt Brand. Für die Teilnehmer gibt es Entwarnung, alles im grünen Bereich. Es kann also losgehen. „Mit der Siegerposition öffnen wir unseren Brustkorb“, sagt der Kursleiter und steht mit weit ausgetreckten Armen und breit aufgestellten Beinen vorne.
Schwerer Verlauf erst bei Klinik-Einweisung
Susanne genießt die Dehnung, macht sich ganz lang. Neun Wochen ist es nun her, dass bei der Erzieherin die britische Variante von Covid-19 festgestellt wurde. „Einen Tag nach meiner Erstimpfung“, erzählt sie. Heute kann sie darüber lachen, in der ersten Zeit nach der Infektion war ihr dazu überhaupt nicht zumute, denn auch wenn sie nicht ins Krankenhaus musste, ging es ihr richtig schlecht. „So lange jemand nicht in die Klinik muss, gilt das als milder Verlauf. Aber das war es nicht.“ Heftige Hals-, Ohren-, Kopf- und Gliederschmerzen sorgten dafür, dass die 49-Jährige mehrere Tage kaum aufstehen konnte. Insgesamt war Susanne vier Wochen zuhause. Dass sie sich im Kindergarten angesteckt hat, ist für die Erzieherin klar. „Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass auch dort wie in den Schulen getestet worden wäre. So waren meine Kolleginnen und ich dem Ganzen doch recht schutzlos ausgeliefert.“ Jetzt kämpft sie sich in den Alltag zurück. Der Kurs im SVZ soll ihr dabei helfen.
Übungen für Körper und Geist
„Wir absolvieren jetzt eine Tabata-Einheit“, kündigt Armin Brand an und erklärt das Prinzip. 20 Sekunden Vollgas, zehn Sekunden ausruhen. Das Ganze vier Minuten lang. Was das Zeug hält wird sogleich getrippelt und gehüpft, dazwischen ist Pause. Langsam kommt die Gruppe ganz schön außer Puste. „Wir wissen, dass das Corona-Virus die Lunge angreifen kann. Genauso kann es aber auch das Herz, die Nieren, Darm oder Leber schädigen und auch das Immunsystem, das Gefäßsystem und das Gehirn negativ beeinflussen“, zählt Armin Brand auf. Deshalb gibt es auch für Letzteres eine Übung. Zwei Teilnehmer stellen sich einander gegenüber und zählen zunächst abwechselnd bis drei. Immer und immer wieder. Wenn das läuft, wird die zwei durch den eigenen Namen ersetzt. Klappt auch das, muss der Name des Gegenübers genannt werden. Danach muss derjenige, der „Eins“ sagt, gleichzeitig den linken Fuß nach vorne stellen. Zu guter Letzt soll bei der „Drei“ der rechte Arm gehoben werden. Unter großem Gelächter wird schnell klar – das ist gar nicht so einfach.
Wortfindungsstörungen als Symptom
Kim Glemser, die derzeit beim SVZ ein Duales Studium der Sportökonomie absolviert, hatte im Oktober Corona. „Es war ein milder Verlauf. Aber seither habe ich das Gefühl irgendwie vergesslicher geworden zu sein. Manchmal fallen mir einfach die Worte nicht ein“, erklärt die 22-Jährige. „Wortfindungsstörungen sind ganz typisch“, weiß Armin Brand. „Wir haben hier ein wirklich breites Spektrum zu bedienen.“ Deshalb schließen sich auch noch Übung für die Kräftigung und Stabilität an, ehe es zum Abschluss in die verdiente Entspannung geht.
Reha-Kurs bei Post-Covid-Syndrom
Das Corona-Virus kann im menschlichen Körper zahlreiche Schäden anrichten. Neben der Lunge können auch Herz, Nieren, Darm oder Leber geschädigt werden und sowohl das Immun- und Gefäßsystem als auch das Gehirn können negativ beeinflusst werden.
Folgen können – auch bei nur leichtem Verlauf – Luftnot, Müdigkeit, Erschöpfung, allgemeine Schwäche, Herzmuskelschädigungen, Schlaganfall, Riech- und Geschmacksstörungen, Nervenschädigungen, Gangbeschwerden, Lähmungen, Angst, Schlafstörungen oder Schluckbeschwerden sein.
Als Reha-Sport-Experte weiß Armin Brand, das einige Beschwerden durch gezieltes Training gemildert werden können. Lungen- und Herzfunktion, das Gleichgewichtsgefühl, Kraft- und Ausdauerfähigkeit, das Immunsystem und die Gehirnfunktionen können verbessert werden.
Inhalte einer Post-Covid-Sportstunde sind unter anderem gezieltes Atemtraining, Haltungsschulung für eine bestmögliche Atmung, Dehnung und Mobilisation der für die Atmung wichtigsten Körperstrukturen, Training der Lunge gegen Einatemwiderstand und Training der Ausatemmuskeln, Verbesserung der Beinkraft und des Gleichgewichtes, gezielte Koordinationsübungen, um die Gehirnfunktion zu verbessern, Entspannungsübungen, die bei Angst und Schlafstörungen helfen können. sl
Infos unter www.svz-kirchheim.de