Bei dem Anblick kann einem schon mal die Spucke wegbleiben. Vanessa Aichele ist durchtrainiert, vom Scheitel bis zu den Zehensitzen. Sport hat die 41-Jährige schon immer begeistert. Als Jugendliche in Berlin verbrachte sie den Großteil ihrer Zeit auf dem Pferd, mit 30 Jahren wechselte sie zum Triathlon-Sport, zog nach München und startete für den RSC Kempten über die Olympische Distanz. „Als dann mein Sohn auf der Welt war, wollte ich einen Sport finden, durch den ich wieder fit werden kann“, erzählt die Oberlenningerin. So kam sie vor rund vier Jahren zunächst zum „Hyrox“. Hier müssen acht Kraftdisziplinen absolviert werden, dazwischen gilt es, jeweils einen Kilometer zu laufen. Schnell war Vanessa Aichele auch hier auf Wettkämpfen zu sehen, und zwar in sämtlichen Disziplinen. „Mein damaliger Coach hat irgendwann mal zu mir gesagt, wenn ich wirklich was reißen möchte, sollte ich zum Bodybuilding wechseln“, erklärt die Teamleiterin eines Pharmaunternehmens.
Es dauerte nicht lange, und sie hatte Blut geleckt. Mit dem neuen Coach Olaf Mann aus München stellten sich schnell die ersten Erfolge ein. „Für mich war sofort klar, dass ich dann nach Vegas will“, sagt die 41-Jährige, die sich dem sogenannten Natural Bodybuilding verschrieben hat. Ohne Unterstützung aus dem Reagenzglas feilt sie seither akribisch an ihren Körperformen, und das äußerst erfolgreich. Viermal die Woche ist sie im Göppinger Fitnessclub „Nice“ anzutreffen. Je nach Trainingsphase stehen dann unterschiedliche Intensitäten an. „Im Moment bin ich in der Aufbauphase, da pumpe ich richtig“, erklärt Vanessa Aichele. Dazu gehört beispielsweise Kreuzheben mit 90 Kilogramm. Zwölf Wochen vor der Wettkampfvorbereitung werden erstmals die Kalorien leicht reduziert, später dann noch mal um 400 pro Tag. „Dazu braucht man unbedingt einen Coach, weil man während der Diät überhaupt keinen realistischen Blick mehr für seinen eigenen Körper hat“, berichtet die Oberlenningerin.
Alle Lebensmittel werden akribisch per App getrackt. Anhand der Bilder, die die Mutter eines inzwischen Vierjährigen ihrem Coach dann regelmäßig schickt, passt er den Speiseplan auch schon mal spontan an. „Da sagt er mir ganz genau, wovon ich am nächsten Tag mehr oder weniger essen soll.“ Auf Weizen und Kuhmilch verzichtet die Bodybuilderin ohnehin, aus Überzeugung. „Je näher der Wettkampf rückt, desto weiter gehen wir mit den Kalorien runter.“ In der sogenannten Peak Week, der Woche vor dem großen Tag, schickt sie ihrem Coach täglich Bilder von den vier Grundposen, die beim Wettkampf gefragt sind. Da wird jeder Muskel haargenau inspiziert, damit alles möglichst perfekt aussieht.
Vanessa Aichele startet in der Bikini-Klasse. Das heißt, hier sind im Vergleich zur Athletik- oder Bodybuilding-Klasse keine brachialen Muskelpakete gefragt, sondern definierte, schlanke und symmetrisch ausgeprägte Muskeln. Wie gut sie mit ihrem Körper bei einer Wettkampf-Jury ankommt, hat die 41-Jährige erstmals im Juli 2021 bei der Deutschen Meisterschaft erfahren, bei der sie in der offenen Klasse auf Anhieb Sechste wurde. „Da habe ich eine Wildcard für die Natural Olympia in Vegas bekommen“, erzählt sie lachend. Alles war perfekt für den großen Traum vorbereitet, als sie vier Tage vor Abflug Corona bekam. „Ich musste alles stornieren.“ So war nicht nur Vegas futsch, sondern auch das Geld für Flüge und Hotel. Vergangenes Jahr wagte Vanessa Aichele einen neuen Anlauf. Bei der Deutschen Meisterschaft sahnte sie dieses Mal bei den Masters den Titel ab, wurde in der offenen Klasse Vierte und löste das Ticket für die EM in Budapest, wo sie ebenfalls zwei erste Plätze holte und in die Top drei aller Frauen des Wettkampfes gewählt wurde. Mit diesem Ergebnis qualifizierte sie sich für Vegas nicht nur bei den Amateurinnen, sondern auch als Profi. „Es ist schon außergewöhnlich, bei Olympia sein Profi-Debüt zu geben“, sagt die Oberlenningerin lachend. Dass sie unter den Amerikanerinnen den dritten Platz belegte und in der Amateur-Klasse bei den Masters Zweite wurde, war der verdiente Lohn für all die Mühen.
Erfahrung weitergeben
Nun beginnt das Wettkampfjahr von vorne. „Ein Ziel zu verfolgen, macht für mich den besonderen Reiz aus“, erklärt die 41-Jähige, die nun auch anderen dabei helfen möchte, sich ihre sportlichen Wünsche zu erfüllen. „Ich lag während einer Schwangerschaft damals fünf Wochen im Kreißsaal, habe mein Kind in der 25. Woche auf die Welt gebracht und war vollgepumpt mit Antibiotika.“ Nicht zuletzt der Sport war es, der ihr aus dieser schweren Phase herausgeholfen hat. „Der Anfang ist das Schwerste. Viele trauen sich nicht, ins Studio zu gehen, und wissen vielleicht auch nicht genau, was sie machen sollen. Ich nehme diese Menschen gerne an die Hand.“ Vor allem Frauen sollten ihrer Meinung nach keine Hemmungen haben, sich auch mit schweren Gewichten in Form zu bringen. „Die Genetik gibt vor, was wie trainiert werden muss.“ Das Ergebnis zeigt Vanessa Aichele auf ihrem Social-Media-Account. „Ich möchte anderen zeigen, dass es mit 40 nicht vorbei ist.“
Info Wer Vanessa Aichele kontaktieren möchte, kann dies einfach über ihre Instagram-Seite van_nice_pnbapro tun.
Was ist Natural Bodybuilding?
Der Muskelaufbau steht auch beim Natural Bodybuilding im Fokus. Allerdings wird hier auf leistungssteigernde Substanzen wie anabole Steroide komplett verzichtet. Sogenannte Supplements auf natürlicher Basis wie Proteine oder essenzielle Aminosäuren sind aber erlaubt. Der Sport wird als Lifestyle verstanden.
Kosmetische Eingriffe sind laut Vanessa Aichele bei den Bodybuilderinnen vor allem in Form von Brustimplantaten weit verbreitet. „Wer einen so geringen Fettanteil hat, hat auch keine natürliche Oberweite mehr“, sagt die Oberlenningerin. Sogenanntes Bodyforming im Sinne von Fettabsaugung ist im Natural Bodybuilding hingegen verpönt. „Es bringt auch nichts, denn der Körper lagert das Fett dann eben an einer anderen Stelle ein“, so Aichele.
Vier Säulen machen das Bodybuilding laut der „German Natural Bodybuilding & Fitness Federation“, der auch Vanessa Aichele angehört, aus: Training, Ernährung, Erholung und positives Denken.
Im Wettkampf gibt es verschiedene Klassen, für die jeweils andere Ziele gelten. Während es in der Bikini-Klasse auf schlanke und symmetrische Muskeln ankommt, geht es in der Athletik-Klasse um Definition und Muskelmasse. sl