Lokalsport

Raus aus den Stiefeln, rein ins Tutu

Motorrad-Trial Eva Spielvogel aus Lindorf ist 15 Jahre alt, leidenschaftliche Gelände-Motorradfahrerin und passionierte Balletttänzerin in einem. Von Uli Weißinger

Eva Spielvogel in Aktion: Die 15-Jährige zählt zu den größten Trialtalenten im Land. Fotos: Uli Weißinger/privat
Eva Spielvogel in Aktion: Die 15-Jährige zählt zu den größten Trialtalenten im Land. Fotos: Uli Weißinger/privat

Sie ist 1,73 Meter groß und wiegt 57 Kilo - ein ganz normales Mädchen mit braunen, langen Haaren und blauen Augen. Unter der zierlichen Hülle steckt aber ein wahres Kraftpaket. Eva Spielvogel aus Lindorf hat gerade mittlere Reife gemacht, und eine ihrer Leidenschaften ist das Trialfahren mit einem Geländemotorrad - nicht zu verwechseln mit Motocross. „Der Unterschied ist, dass es bei uns um Geschicklichkeit geht und nur zweitrangig um Geschwindigkeit“, erklärt die 15-Jährige. „Es ist wie eine Mischung aus Hindernislauf und Ballett auf dem Motorrad.“ Sie fährt dabei über Stock und Stein, hüpft mit dem Motorrad auf der Stelle, meistert extrem steile Auf- und Abfahrten und kann bis zu zwei Minuten auf dem Motorrad stehen, ohne sich festzuhalten.

Ein guter Trialer sollte nicht nur exzellente Körperbeherrschung haben, sondern auch eins mit seinem Motorrad sein und im richtigen Moment eine Portion Mut und Entschlossenheit mitbringen, um Gas zu geben. „Nur so schafft man auch hohe Stufen oder Baumstämme. Wer zu zögerlich ist, bleibt hängen. Das passiert mir auch immer wieder“, erzählt Eva, die sich selbst als ehrgeizig bezeichnet. In Wettkämpfen geht es in ihrer Klasse schon mal knapp eineinhalb Meter senkrecht einen Felsblock hinauf und das mit einem Anlauf von nur einem Meter. Zum Vergleich: Trial-Ikone Toni Bou aus Spanien schafft mit seinem Motorrad aus dem Stand einen Satz auf mehr als zwei Meter.

Das sieht oft spektakulär und gefährlich aus, ist es aber nicht, meint Eva. „In den Ballsportarten gibt es viel mehr Verletzte. Wir fahren immer alleine in der Sektion und dort, wo es knifflig ist, steht mein Papa.“ Jorg Spielvogel ist selbst begeisterter Trialer und ist früher bei Wettbewerben die schwerste Spur gefahren. Er ist nicht nur ihr Trainer, sondern besichtigt vor dem Wettkampf mit ihr die Sektionen und zeigt ihr, wenn es drauf ankommt, an Schlüsselstellen die richtige Spur an. Zur Not fängt er auch mal Tochter oder Motorrad auf, falls es zu einem Sturz kommt. „Was Schlimmes ist mir bis jetzt noch nie passiert, nur blaue Flecken und Schürfwunden“, grinst die Schülerin und schaut ihre Mutter Anke an. Die runzelt die Stirn und sagt: „Manchmal kann ich echt nicht hinschauen, so wie beim Europameisterschaftslauf in Polen. Da hat sich Eva aus eineinhalb Metern komplett überschlagen. Das Motorrad landete auf ihr drauf.“ Aber auch da hatte sie Glück und ihr Motto „unverletzt überleben“ ging auf.

Mama Spielvogel ist nicht nur bei den Trial-Wettbewerben als Unterstützung dabei. Sie tritt auch in Aktion, wenn Eva ihrer zweiten großen Passion nachgeht, dem Ballett. Es gab schon Tage, an denen die Sportlerin direkt aus ihren verdreckten Motorradstiefeln ins Tutu schlüpfte - natürlich mit einem Umweg über die Dusche. „Mit Make-up und Concealer rücke ich dann den blauen Flecken an den Beinen zu Leibe. Auf der Ballettbühne macht sich das sonst nicht so gut“, schmunzelt Anke Spielvogel. Ballett und Trial - für viele zwei Welten, aber Spielvogels sehen das anders: „Beide Sportarten haben unheimlich viel gemeinsam: Körperbeherrschung, Ausdauer, Sprungkraft - alles passt super zusammen.“

Mit Technik gegen Kraftdefizit

Munter plaudert die Lindorferin nicht nur von ihrem Pech, sondern auch davon, dass sie eines der erfolgreichsten Trial-Mädels in der Baden-Württembergischen Jugendmeisterschaft (BWJ) ist. „Zum ersten Platz hat es mir zwar noch nie gereicht, aber ich war schon ganz oft Zweite oder Dritte.“ Dass die ersten Plätze ausnahmslos an die Jungs gehen, ärgert sie ein bisschen. Eine getrennte Wertung für Mädchen gibt es aber erst ab der Europameisterschaft. „Die Jungs haben manchmal einfach ein bisschen mehr Mut und vor allem mehr Kraft.“ Das will sie künftig durch noch bessere Technik und Training wettmachen.

130 Tage steht sie im Jahr auf dem Motorrad. Das ist ein bis zweimal pro Woche, dazu kommen noch zwei bis drei Trainingseinheiten Kraft und Ausdauer. Fragt sich, wann noch Zeit bleibt zum Lernen? Oft wird deshalb auch auf dem Weg zum Trainingslager oder Wettkampf gebüffelt. „Für meinen Abschluss habe ich ganz früh angefangen, zu lernen. Als alle anderen in den Osterferien Stress mit den Prüfungsvorbereitungen hatten, war ich zum Trialen in Frankreich“, grinst die Langschläferin, die nach den Sommerferien aufs Wirtschaftsgymnasium wechselt.

Podestplatz bei EM als Traum

2018 jagte bis jetzt ein Highlight das andere: erfolgreicher Schulabschluss und die erste Teilnahme bei internationalen Wettbewerben. Spanien, Polen und Italien - „die Strecken sind oft abartig schwer, aber es ist eine mega Erfahrung!“ Auf Anhieb schaffte die Trialerin des MSC Köngen/Wendlingen in den bisherigen Läufen die Plätze sechs und sieben in der „Women International Class“.

Für den Abschluss der Europameisterschaften an diesem Wochenende in Belgien träumt sie von einem Podestplatz: „Auch wenn es unrealistisch scheint, in einem Lauf war ich nur sieben Punkte vom dritten Platz entfernt“, sagt sie.

Und dann wäre da noch das Highlight Nummer drei: die Nominierung zur Jugend Deutschen Meisterschaft (JDM), die an zwei Wochenenden im Herbst in Schatthausen und Osnabrück ausgetragen wird. Als im Frühsommer der Anruf des ADAC-Kaderbeauftragten Thomas Buck kam, der fragte, ob sie bei den Meisterschaften mitfahren will, war Eva Spielvogel total aus dem Häuschen und stammelte nur ins Telefon: „Ja, ich will.“

Alles Wissenswerte rund um den Trialsport

In Baden-Württemberg gibt es zwölf Trialklubs mit knapp 2 000 Mitgliedern, im Raum Kirchheim, Nürtingen, Wendlingen sind es übersichtliche 200 bis 300 Fahrer und Fahrerinnen. Obwohl es die meist verbreitete Motorradsportart ist, wissen viele nicht, was sich hinter Trial verbirgt.

Trial ist eine Motorsportart im Gelände, bei der es in erster Linie nicht um Geschwindigkeit, sondern um Geschicklichkeit geht. Die Fahrer müssen mehrere Parcours, die man Sektionen nennt, mit Hindernissen wie Steinen, Felsstufen, großen Reifen oder Baumstämmen und Wurzeln oder ganz enge Kurven fehlerfrei überwinden. Ein Fehler ist es, den Fuß auf dem Boden oder einem Hindernis abzusetzen. In einem Wettbewerb gibt es für jeden „Fuß“ einen Punkt. Wer umfällt oder fremde Hilfe benötigt, bekommt fünf Punkte. Wer am Schluss nach allen Sektionen, die mehrmals durchfahren werden müssen, die wenigsten Punkte hat, gewinnt.

Ohne Motorrad geht es natürlich nicht. Das kann man sich anfangs aber auch bei den Vereinen ausleihen. Ganz wichtig ist die Schutzausrüstung: Helm, Handschuhe, Knieschützer, Ellenbogenschützer, Rückenprotektor und Stiefel - wer mal stürzt, ist so gut geschützt.

Die beiden Vereine in der Region sind der MSC Köngen/Wendlingen und der MSC Frickenhausen. Beide bieten auch Schnuppertrainings an. Mehr Informationen finden Interessierte auf den jeweiligen Internetseiten www.msc-koengen-wendlingen.de und www.msc-frickenhausen.de.uli