Lokalsport

Um EM-Meriten und WM-Ticket

Thomas Schuwje aus Oberlenningen vor EM-Start mit der Rollstuhl-Rugbynationalmannschaft

Der Countdown läuft, am Samstag geht‘s für den Oberlenninger Thomas Schuwje (29) und die Rollstuhl-Rugbynationalmannschaft nach Belgien zu den Europameisterschaften. Nach zwei eher durchwachsenen internationalen Turnieren wollen die Deutschen in Antwerpen um den Titel mitspielen. „Es ist alles möglich“, sagt Schuwje vor der Abreise.

Als Bindeglied zwischen Offensive und Defensive stets gefordert: Thomas Schuwje (links) zählt im Rollstuhl-Rugby zur absoluten W
Als Bindeglied zwischen Offensive und Defensive stets gefordert: Thomas Schuwje (links) zählt im Rollstuhl-Rugby zur absoluten Weltklasse. Foto: privat

Lenningen. Dem Zufall wird auch im Behindertensport längst nichts mehr überlassen. Ende Juli lud der Deutsche Rollstuhl-Sportverband (DRS) seine Rugybnationalspieler für eine Woche ins Trainingslager nach Heidelberg, wo die wohl ­toughesten Rollisportler des Landes an Form, Technik und Taktik feilten.

Mittendrin, statt nur dabei: Thomas Schuwje aus Oberlenningen, seit 2009 Nationalspieler und laut offizieller Lesart einer der besten überhaupt. „Thomas zählt in seiner Schadensklasse zur absoluten Weltklasse“, sagt mit Philip Örüm ein Mann, der es wissen muss. Der 43-Jährige ist Erster Vorsitzender des Fachbereichs Rollstuhl-Rugby im DRS, hat darüber hinaus selbst über zehn Jahre aktiv gespielt. „Er ist ein absoluter Wettkampftyp und kann sich und das Tema richtig pushen“, sagt Örüm über Schuwje, der für Deutschland auf einer Schlüsselposition spielt.

Der 29-Jährige ist das Bindeglied zwischen Offensive und Defensive, die im Rollstuhl-Rugby ständig wechselt, zumal der Ball nur zwölf Sekunden in der eigenen Hälfte gehalten werden darf und ein Angriff spätestens nach 40 Sekunden abgeschlossen sein muss. „Da musst du hundertprozentig bei der Sache sein, wir sprinten während des Spiels mit den Rollstühlen immer hin und her“, beschreibt Schuwje den kräftezehrenden Sport. „Die Energiereserven gehen schon schnell zur Neige“, sagt er.

Kein Wunder also, dass sie im Heidelberger Trainingslager auch letzte Hand an die Fitness angelegt haben. Schließlich soll das Nationalteam nach zwei eher verpatzten internationalen Turnieren ab kommender Woche Erfolge verbuchen, wenn die DRS-Auswahl bei den Europameisterschaften im belgischen Antwerpen startet. Von Druck will offiziell zwar niemand reden, aber wäre ein Abschneiden jenseits von Platz fünf ein Fiasko – ab EM-Platz sechs gibt‘s nämlich kein Ticket mehr zur Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Dänemark. Die Konkurrenz für den aktuellen Weltranglistenzwölften Deutschland ist dabei stärker als je zuvor. „Die Leistungsdichte im Rollstuhl-Rugby hat in den letzten Jahren zugenommen“, weiß Philip Örüm, der bei der EM England, Polen, Dänemark und Titelverteidiger Schweden auf der Rechnung hat, zumal diese Länder im internationalen Ranking vor den Deutschen stehen. „Trotzdem ist für uns von Platz eins bis sechs alles möglich“, vertraut Örüm auf die Fähigkeiten der Mannschaft und denen des Nationaltrainers.

Der ist Amerikaner, heißt Joe Soares und ist laut Örüm ein echter Taktikfuchs mit Erfahrung. Bei den Paralympics 1996 in Atlanta holte er Rugby-Gold mit den USA, trainierte danach die Nationalmannschaften von Kanada und Großbritannien. Der große Triumph als Coach der Deutschen, die er seit 2010 betreut, lässt allerdings noch auf sich warten. Bei der WM vor vier Jahren wurde die DRS-Auswahl Zehnter, bei der letzten EM vor zwei Jahren Sechster.

An der Erfahrung kann‘s nicht gelegen haben, schließlich spielt die halbe Nationalmannschaft für den gleichen Verein. Thomas Schuwje ist einer von sechsen, die für die Karlsruhe Rebels um Punkte in der Champions League kämpfen – anders als im Fuß- oder Handball eine eigenständige Liga, in der es gegen Konkurrenten aus dem europäischen Ausland geht. Die Karlsruher hatten hier bereits vier Mal die Nase vorn.

Diese Erfahrung soll sich nun auch in Belgien auszahlen. Am Samstag macht sich jeder Spieler auf eigene Faust Richtung Antwerpen auf. Thomas Schuwje wird von seinem Vater Alex (52) begleitet, der dem DRS-Team schon seit Jahren als offizieller Betreuer angehört. Bereits am Abend ist ein technisches Meeting mit den EM-Organisatoren anberaumt, ehe am Sonntagmorgen die Rollstühle der einzelnen Mannschaften beim sogenannten Chair Ceck unter die Lupe genommen werden. Jedes der mit Alu gehärteten Sportgeräte ist eine Sonderanfertigung, allein der Stuhl von Thomas Schuwje hat 7 000 Euro gekostet. „Wenn die Krankenkasse den nicht finanziert hätte, könnte ich den Sport gar nicht machen“, sagt der Oberlenninger.

Um den Sport einigermaßen kostendeckend betreiben zu können, sind die Rollstuhl-Rugby-Cracks auf Sponsoren angewiesen. Internationale Turniere wie die EM sind laut Fachverbandsfunktionär Örüm zwar über Zuschüsse gedeckt, doch fehlt dem Sport vor allem an der Basis die Unterstützung.

Thomas Schuwje kann ein Lied davon singen. Neben seiner Trainertätigkeit beim Zweitligisten SF Illerrieden will er in Bälde ein Team in Tübingen zusammenstellen. An der dortigen Uniklinik macht Schuwje regelmäßig Unfallopfern, die wie er querschnittsgelähmt sind, neuen Mut und hofft, sie mit seiner Begeisterung für Rollstuhl-Rugby anzustecken – ganz im Sinne des Verbands. „Betroffene helfen Betroffenen“, beschreibt Philip Örüm das Motto bei der Nachwuchsgewinnung.

Alles Wissenswerte rund um die Europameisterschaft im Rollstuhl-Rugby in Belgien

Die Europameisterschaft im Rollstuhl-Rugby in Antwerpen wird in zwei Vorrundengruppen ausgetragen. In Gruppe A sind neben Deutschland noch Großbritannien, Finnland, Österreich, Tschechien und Gastgeber Belgien vertreten. In Gruppe B messen sich Schweden, Frankreich, Polen, Dänemark, Schweiz und Italien. Die deutsche Mannschaft um Thomas Schuwje trifft am kommenden Dienstag zunächst auf Tschechien (12 Uhr) und Finnland (19.30). Am Mittwoch geht‘s gegen Großbritannien (11.30) und Belgien (17.30). Das letzte Gruppenspiel bestreitet die DRS-Auswahl am Donnerstag gegen Österreich (16). Je nachdem, welche Platzierung die Deutschen nach der Vorrunde belegen, geht es am Freitag im sogenannten „Crossover-Modus“ um die Qualifikation für die Platzierungsspiele. Als Sechster ihrer Gruppe müssten Schuwje & Co. beispielsweise gegen den Fünften der Gruppe  B ran und dürften je nach Ergebnis am Sonntag entweder das Spiel um Platz neun oder elf bestreiten Dementsprechend ist der Einzug ins EM-Finale nur möglich, wenn man nach der Vorrunde Platz eins oder zwei belegt und im Crossover-Spiel den entsprechenden Gegner der anderen Gruppe schlägt. Wer die EM verfolgen will, findet im Internet unter www.ecwcrugby2013.be/en einen Live-Ticker zu den Spielen sowie alle weiteren Informationen. Eine Facebook-Seite ist ebenfalls eingerichtet.tb