Kirchheim. Der Kelch geht im „Lockdown light“ nur an wenigen Sportarten vorbei. Jene, denen laut Landesverordnung der Betrieb erlaubt bleibt, bewegen sich weit weg von Normalität - wie das Beispiel des Reit- und Fahrvereins (RFV) Kirchheim zeigt.
„Weitläufige Anlagen wie Golfplätze, Reitanlagen oder auch Tennisplatzanlagen dürfen auch von mehreren individualsportlich aktiven Personen unter Einhaltung der Abstandsregeln genutzt werden“, heißt es in der aktuellen Verordnung in Amtsdeutsch - für Vereine wie den RFV bringt das freilich nur etwas Luft. „Konkret heißt dies, dass wir nur eine begrenzte Zahl an Reitern in die Halle und auf die Außenanlage lassen dürfen, zudem Maskenpflicht auf dem Gelände besteht, aber zum Beispiel keine Schulungen, kein Voltigieren, keine Ponygruppen möglich sind“, sagt RFV-Präsidentin Isabella Thurner.
So kommt es, dass die Szenerie am Ziegelwasen an einen Wildwest-Film erinnert: Es sind ausschließlich Pferde und Maskierte unterwegs. So wie Andrea Wagner, für die die neuen Vorschriften weitreichende Konsequenzen bedeuten. Seit Mai als hauptamtliche Reitlehrerin beim RFV angestellt, haben ihre Übungsstunden in Lockdownzeiten wenig mit der Vermittlung professioneller Praxis zu tun. „Was wir hier machen, nennt sich bewegen der Pferde unter Aufsicht“, erklärt sie.
Pferdesportklubs haben in Pandemiezeiten nicht nur etliche Hygienemaßnahmen umzusetzen, sondern müssen sich vordringlich um das Wohlergehen der Tiere kümmern. Auf der Prioritätenliste ganz oben steht der Auslauf - mindestens eine Stunde pro Tag. „Pferde müssen natürlich weiter versorgt, bewegt, ausgebildet und trainiert werden, das gebietet schon der Tierschutz“, betonte Frank Reutter, Präsident des Württembergischen Pferdesportverbandes, unlängst in einem Interview des Fachmagazins Reiterjournal. Pferdesport komme, so der Wernauer, diesmal zwar glimpflicher davon als beim ersten Lockdown in März, doch Reitschulen und Vereine mit großen Schulbetrieben treffe es erneut hart.
Isabella Thurner kann dies bestätigen: „Unser Verein finanziert sich größtenteils aus dem Schulungsbetrieb, Einnahmen brechen somit weg“, sagt sie und berichtet von einem krassen Fall in Pfullendorf, wo der dortige Reitverein alle Schulpferde verkaufen musste, um sich über Wasser zu halten. Thurner bleibt trotzdem optimistisch, hofft, dass bald wieder mehr Normalität möglich sein wird. „Wir haben immerhin eine Warteliste mit 40 Einsteigern“, sagt sie, diese Liste könne wegen der eingeschränkten Möglichkeiten jedoch aktuell kaum abgearbeitet werden. Es werde deshalb „wohl mindestens ein Jahr dauern“, ehe der Rückstau beseitigt sei.
Aktuell treibt die Präsidentin noch ein anderes Problem um. Mit zunehmend schlechterer Witterung müssen die Pferde immer häufiger in der Reithalle bewegt werden. Doch ausgerechnet in diesem Punkt bleibt die aktuelle Verordnung schwammig. Anders als im Frühjahr gibt es diesmal keine differenzierte Angabe, wie viele Pferde gemeinsam in der Halle sein dürfen. Der RFV Kirchheim hat sich auf vier festgelegt, orientiert sich an den Empfehlungen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), die 150 bis 200 Quadratmeter pro Pferd und Reiter als angemessen sieht. Für Ausritte gelten bezüglich Treffen und Ansammlungen im öffentlichen Raum indes dieselben Restriktionen wie für alle anderen Perspnen.
Andrea Wagner kann zumindest aktuell in einem anderen Bereich ihrer Tätigkeit ein Stück weit Normalität verwirklichen: Als Berufsreiterin darf und muss sie jeden Tag aufs Pferd, um die Tiere am Ziegelwasen auf Trab und gesund zu halten. Reimund Elbe