Die dreifache Kunstrad-Weltmeisterin Andrea Barth aus Wendlingen lebt heute nahezu unerkannt im bayerischen Bruckmühl
Weltstar mit 22, Rücktritt mit 24

In ihrer nicht-olympischen Sportart trainierte sie einst wie ein Weltmeister und wurde schließlich Dreifach-Weltmeisterin: Einer-Kunstradfahrerin And­rea Barth gelangen während einer beispiellosen Karriere WM-Titelgewinne in den Jahren 1994, 1995 und 1996. Heute lebt der 42-jährige Ex-Star mit Mann und zwei Kindern nahezu ­unerkannt im bayerischen Bruckmühl.

Kirchheim/Bruckmühl. Anruf in der Volkshochschule Bad Aibling, wo eine gewisse Andrea Barth-März als Dozentin auf der Mitarbeiterinnen-Liste steht. Die entscheidende Identifizierungsfrage, ob es sich bei ihr um den früheren Kunstrad-Weltstar aus dem schwäbischen Wendlingen handele, lässt die VHS-Angestellte unbeantwortet: „Das wissen wir nicht. Wir leiten Ihre Anfrage aber gerne an Frau Barth-März weiter.“

Unsere Personenrecherche fruchtet: Tatsächlich entpuppt sich besagte Frau Barth-März als die gesuchte Ex-Sportlerin. Als jene, die nach ihrer Karriere erst ihren Krankenkassenjob in Kirchheim gekündigt hatte (2004), danach für ein halbes Jahr Rucksack-Touristin wurde und Australien, Neuseeland und Bali bereiste, eine dreijährige Ausbildung zur Sporttherapeutin begann (2005) und anschließend – weil sie nicht den Wunsch-Job an einer Reha-Klinik bekam – als Sportlehrerin an eine Realschule nach Rosenheim ging (2008). Mit ihrem Umzug nach Bayern war sie für viele Leute aus dem Fokus geraten. Später legte sich die Neu-Bajuwarin noch Ehemann und Doppelnamen zu (2011) und bekam die Kinder Elias (heute 4) und Josefine (2,5). Inzwischen lebt die Familie in der 15 000-Einwohner-Gemeinde Bruckmühl im Landkreis Rosenheim ebenso glücklich wie idyllisch. „Hier haben wir unser Haus und hier sehe ich auch meine Zukunft“, lässt die Mutter keinen Zweifel daran, dass etwaige Rückkehr-Pläne nach Schwaben für sie absolut kein Thema sind. Vom Sport hat sie sich zurückgezogen.

In ihrer neuen Heimatgemeinde sind es nur wenige Eingeweihte, die wissen, welche prominente Mitbewohnerin sie haben. Denn Andrea Barth-März ist die Verschwiegenheit in Person – großartige Lust, aus der Schule zu plaudern, verspürt sie nicht. Sage und schreibe 18 Treppchenplätze hat sie zwischen 1986 und 1996 bei Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und deutschen Meisterschaften errungen, doch außer Ehemann Tom weiß kaum eine(r) davon, am wenigsten ihre VHS-Kolleginnen. „Soll ich den Leuten etwa erzählen, wie gut ich im Kunstradfahren einmal war?“, antwortet sie auf die Frage, warum sie im Ort nicht einen größeren Bekanntheitsgrad habe, mit bemerkenswert stimmlichem Nachdruck. Es ist die natürliche Bescheidenheit, die sie in eigener Sache verbal auf die Bremse treten lässt – Protzereien sind ihr Ding nicht.

Andrea Barths Kunstrad-Karriere begann beim RSV Wendlingen als Achtjährige, mit 19 erreichte sie in Trier mit dem deutschen Frauen-Meistertitel den ersten großen Meilenstein ihrer Karriere (1991). Von da an trieben sie Talent, unbändiger Trainingsehrgeiz und Trainerin Sonja Müller auf immer neue Höhen. Nach drei Vize-Weltmeisterschaften hintereinander glückte in der Saarbrücker Saarlandhalle 1994 der erste WM-Titel. „Das war wohl mein größter und wichtigster Erfolg“, blickt sie heute zurück. Damals feierte sie den ersten Sieg über ihre langjährige Rivalin Iris Kurz (RV Edelweiss Bonlanden) – ein Triumph, der zur großen Wachablösung geriet, denn auch von den folgenden Weltmeisterschaften im französischen Epinal und Johor Bahru/Malaysia kehrte das 1,64 Meter große 53-Kilo-Leichtgewicht als Goldmedaillen-Gewinnerin zurück. Damit hatte Barth in der Zahl der WM-Titel mit Kurz gleichgezogen.

Kaum zurück von ihrem beschwerlichen Sieg in Malaysia („da hatten wir Hallentemperaturen um die 30 Grad beim Training“), verkündete die Wendlingerin ihr Laufbahn-Ende. 24 war sie damals, fit wie ein Turnschuh und potenzielle Kandidatin für einen vierten oder gar fünften WM-Streich. Bereut sie es heute, das Einsacken von Titeln damals so früh eingestellt zu haben? „Mein Entschluss war richtig. Nach vielen Jahren des harten Trainierens, oft vier Mal pro Woche, und den zahllosen Wettkämpfen, war ich verschlissen und ausgelaugt, auch vom ständigen Erfolgsdruck. Außerdem wollte ich abends auch wieder einmal privat ausgehen können. Deshalb der Schlussstrich“, entgegnet sie. An ihrer sportlichen Vita bedauert sie nichts – vielleicht nur, dass es mit einer im Anschluss begonnenen Laufbahn als lizenzierte Trainerin beim RSV Wendlingen nicht wunschgemäß klappte. „Das war wohl etwas früh“, sagt sie.

Ihr neues Leben in Bayern – And­rea Barth-März gefällt es, vielleicht auch, weil es der exakte Gegenentwurf ist zu ihrem früheren Leben. Den Stress hat die selbstständige Gesundheitstrainerin allerdings auch heute noch. Damals waren es die vielen Sporttermine, die ihren Zeitplan diktierten, heute sind es ihre beiden Kinder. „Elias und Josefine halten mich ganz schön auf Trab“, sagt sie.